Film: „Hamburger Gitter – Der G20-Gipfel als Schaufenster moderner Polizeiarbeit“

Film: „Hamburger Gitter – Der G20-Gipfel als Schaufenster moderner Polizeiarbeit“
Montag, 12.2.24 | 19 Uhr | Juzi

Nach fast sieben Jahren startete im Januar erneut ein Prozess gegen fünf Genoss*innen  im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Sie sind wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt, ohne dass ihnen selbst auch nur eine konkrete Straftat vorgeworfen wird. Damit zielt die Staatsanwaltschaft erneut auf die Versammlungsfreiheit und das Recht auf politischen Protest insgesamt.

Aber was war da eigentlich nochmal los in Hamburg, im Sommer 2017?

Im Rahmen des Offenen Antifa-Treffens im Juzi möchten wir mit euch zusammen den Film „Hamburger Gitter“ schauen. Dabei beleuchtet das Filmkollektiv leftvision die Proteste und vor allem auch die Repression und Grundrechtsbrüche und deren politische Dimensionen rund um den Gipfel.

Es wird Raum für gemeinsamen Austausch geben und wir bringen aktuelle Infos vom laufenden Prozess mit.

Veranstaltung und Film sind in deutscher Sprache. Bei Bedarf kann der Film mit englischen Untertiteln gezeigt werden.

CW: Der Film zeigt massive Polizeigewalt.

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Erneuter G20-Rondenbarg-Prozess heute in Hamburg gestartet

Solifoto zum Prozessauftakt aus Göttingen

Heute, am Donnerstag 18.1. 2024 ist in Hamburg ein erneuter Prozess im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel von 2017 gestartet.

Sieben Jahre nach dem Gipfel in Hamburg hat die Staatsanwaltschaft immer noch einen starken Verfolgungswillen und wünscht sich Haftstrafen – für das Mitlaufen auf einer Demonstration, bei der es zu massiver Polizeigewalt und zahlreichen Verletzten kam.

Die Angeklagten gehören zu den etwa 200 Demonstrant*innen, die am Morgen des 7. Juli 2017 in der Straße Rondenbarg von einer BFE-Einheit ohne Vorwarnung angegriffen wurden. Bei dieser gewaltsamen Auflösung der Demonstration wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt, elf von ihnen schwer.

Dies ist nicht der erste Versuch der Staatsanwaltschaft, Menschen im Zusammenhang mit der Demonstration am Rondenbarg zu kriminalisieren. Im Oktober 2017 wurde Fabio aus Italien angeklagt. Sein Prozess platzte im Februar 2018, weil die Richterin in Mutterschutz ging und wurde endlich im Sommer 2023 eingestellt. 2020 wurden zahlreiche Anklageschriften im Zusammenhang mit der Demonstration am Rondenbarg verschickt – davon waren auch einige Menschen aus Göttingen betroffen. Es gab bisher aber nur einen weiteren Prozessversuch mit einer Gruppe jugendlicher Angeklagter, der wegen der
beginnenden Pandemie abgebrochen wurde.

Nun startet die Staatsanwaltschaft einen neuen Versuch. Ab dem 18. Januar 2024 werden sechs Genoss*innen wegen schwerem Landfriedensbruch angeklagt, ohne dass ihnen selbst auch nur eine konkrete Straftat vorgeworfen wird. Damit zielt die Staatsanwaltschaft erneut auf die Versammlungsfreiheit und das Recht auf politischen Protest insgesamt.

Umso mehr gilt es für uns, solidarisch mit den Betroffenen zu sein und den Angriff auf die Versammlungsfreiheit gemeinsam abzuwehren!
Kommt zur bundesweiten Soli-Demo am 20. Januar 2024 nach Hamburg!

Unterstützt die Leute in den kommenden Monaten im Gericht! Es wird an jedem Prozesstag eine Kundgebung vor dem Gericht geben.

Alle Infos und Termine findet ihr hier: https://gemeinschaftlich.noblogs.org/

Einen Überblick über den Prozess von Fabio findet ihr hier:

Außerdem gibt es mehrere Panorama-Berichte über den Prozess sowie die
Ereignisse am Rondenbarg:
Mitgegangen – mitgefangen: Streit um Demo-Recht bei G20

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Der G20-Elbchaussee-Prozess – Rechtsstaatstheater ohne Happy End

Vor einem Jahr wurden im sogenannten Elbchaussee-Prozess die Urteile gefällt. Wir nutzen den Jahrestag, um nochmal einen detaillierten Blick auf einen der bisher größten G20-Prozesse zu werfen. Denn obwohl das Ganze nun ewig her ist, kann der endgültige Ausgang des Verfahrens (schriftliche Urteilsbegründung und Revision stehen noch aus) drastische Auswirkungen auf den rechtlichen Rahmen von Demonstrationen haben.

Es ging dabei um eine Demo im Sommer 2017. Während des G20-Gipfels in Hamburg kam es in den frühen Morgenstunden des 7. Juli zu einer Express-Verwüstung der schicken Elbchaussee. In wenigen Minuten soll dieser zügige Spaziergang eine Millionen Euro teure Zerstörung mit sich gebracht haben.

Drei Jahre nach dem Gipfel wurden am 10. Juli 2020 vom Landgericht Hamburg die Urteile im Elbchaussee-Prozess gefällt. Begonnen hatte der Prozess im Dezember 2018. Über eineinhalb Jahre wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen Loïc aus Frankreich und vier weitere Genossen aus Frankfurt/Offenbach verhandelt.

Völlig unabhängig davon, ob ihnen individuell etwas vorgeworfen wird, sollen die fünf Angeklagten für diese Demo zur Verantwortung gezogen werden. Die Staatsanwaltschaft konstruierte dafür Anklagepunkte, die die Beschuldigten für zehn Jahre in den Knast bringen sollten. Auch ohne den Forderungen der Staatsanwaltschaft im Detail zu folgen, fand das Gericht einen Weg, die Angeklagten wegen Landfriedensbruchs und Beihilfe zur Brandstiftung – und damit für ihre Anwesenheit – zu bestrafen.

Am 10. Juli 2020 wurde Loïc zu drei Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. Die Frankfurter/Offenbacher Genossen erhielten 15 bzw. 18 Monate auf Bewährung und die jugendlichen Angeklagten müssen, wenn die Urteile rechtskräftig werden, jeweils 120 Arbeitsstunden ableisten.

Worum es hier geht, ist offensichtlich: Die Ordnung wurde gestört und dafür muss irgendwer büßen, es braucht Schuldige. Ganz der Forderung des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz nach „sehr harten Strafen“ entsprechend.

Wir möchten nun einen Blick auf den Prozessverlauf werfen und eine Einordnung des Prozesses und des Urteils vornehmen. Um eine juristische Betrachtung kommen wir dabei nicht ganz herum. Aber hier geht es uns vor allem darum, den Prozess politisch und gesellschaftlich einzuordnen und darzulegen, warum es sich dabei um einen politischen Prozess und damit auch um ein politisches Urteil handelt.

Mit politischem Prozess meinen wir, dass die Taten in einem politischen Kontext stehen, bei dem auch die politischen Überzeugungen der Aktivist*innen eine Rolle spielen. Im Kern ging es den Repressionsorganen nie um die Sachbeschädigungen, sondern um die Frage nach Macht und Ordnung. Der Prozess sollte eine abschreckende Wirkung haben und zugleich den Einsatz der polizeilichen Mittel im Zusammenhang mit dem Gipfel legitimieren. Wie zu erwarten, werden die gesellschaftlichen Umstände, die zu Protesten führen, im Gericht nicht erwähnt bzw. in der Beweisführung nicht anerkannt. Gerichtsprozesse finden nicht im gesellschaftlich luftleeren Raum statt und Urteile sind und können deswegen nie ‚neutral‘ sein. Sie sind immer auch Ausdruck des aktuellen politischen Klimas. Wir wollen deshalb, bevor wir zum eigentlichen Prozess kommen, die gesellschaftliche Stimmung in der Zeit um den Gipfel etwas genauer betrachten.

Politische Stimmungsmache, autoritäre Formierung und Kriminalisierung

In den politischen Maßnahmen vor dem Gipfel zeigte sich eine deutliche Haltung, die darauf abzielte, Protest zu delegitimieren und zu verhindern. So wurde im Mai 2017, also pünktlich zum Gipfel, die Strafe für den Tatbestand des „Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ (§ 114 StGB) massiv verschärft und mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis belegt. Wie der sogenannte „Widerstand“ war dieser Vorwurf schon vor der Verschärfung unter Polizist*innen sehr beliebt. Ein bisschen Phantasie und die Absprache mit ein oder zwei Kolleg*innen reichen aus, um Menschen willkürlich zu beschuldigen.

Mit Hamburg als Veranstaltungsort und dem autoritären Hardliner Hartmut Dudde als Einsatzleiter der Polizei war von der Politik schon eine klare Richtung vorgegeben: Dudde hat sich im Laufe seiner Karriere mit der Unterbindung linken Protests hervorgetan, wobei er rechtliche Vorgaben regelmäßig und gezielt überging. Kurz vor Gipfelbeginn bekräftigte er intern: Ein Wasserwerfer habe keinen Rückwärtsgang. Nicht Blockaden, sondern erfolgreiche Straßenräumungen seien zu melden.

In den Tagen des Gipfels wurde die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. In einer 38 Quadratkilometer umfassenden „Sicherheitszone“ war sie komplett außer Kraft gesetzt. Demonstrationen und Kundgebungen waren in diesem Gebiet, das einen Großteil der Stadt zwischen Elbe im Süden und Flughafen im Norden umfasste, verboten. Ein Camp von Protestierenden wurde ebenfalls komplett verboten. Dem folgte eine gerichtliche Auseinandersetzung und eine rechtswidrige, brutale Räumung des inzwischen wieder genehmigten Camps durch die Polizei.

Dies sind nur einige wenige Beispiele für die Linie von Politik und Polizei, die sich auch im medialen Bild des Gipfels widerspiegelte.

Über weite Strecken gelang es der Polizei mit einer umfassenden Medienkampagne ihre Sichtweisen und Interpretationen zu platzieren. Weit mehr als eh schon üblich wurde mit extrem tendenziösen Pressemitteilungen, falsch kommentierten Videoaufnahmen und Lügen auf Socialmedia-Kanälen in den öffentlichen Diskurs eingegriffen. Immer das auch von der Politik gesteckte Ziel vor Augen, den Protesten jegliche Legitimation abzusprechen. Gab es zunächst auch kritische, die Polizeistrategie und -einsätze hinterfragende Stimmen, verstummten diese im Laufe des Gipfels fast vollständig.

In den Wochen und Tagen vor dem Gipfel war das Bild in den Medien und damit auch die öffentliche Stimmung dagegen noch etwas differenzierter. Einerseits wurden bewusste Dramatisierungen bis hin zu unverhohlenen Drohungen unhinterfragt übernommen. Wie bspw. Äußerungen von Hamburgs Innensenator Andy Grote, in denen er die Menschen ermahnte, Konvois mit ausländischen Politiker*innen in Ruhe zu lassen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die dort eingesetzten Sicherheitskräfte gegen die Blockaden vorgehen und es Tote geben könnte.

Auf der anderen Seite gab es neben den von der Polizei zum Schutz der Bevölkerung als alternativlos dargestellten Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit aber auch Bilder der von diesen Maßnahmen genervten Bevölkerung. Genauso passten die Bilder der meist jungen Menschen, die beim Versuch Zelte aufzubauen von der Polizei mit Schlagstöcken, Tritten und Pfefferspray angegriffen wurden, so gar nicht zu dem Bild der vorher angekündigten Krawalltourist*innen.

Eine kurze Phase einer polizeikritischen Berichterstattung, die auch die Anliegen der Proteste berücksichtigte, war die Folge. Sie erreichte Donnerstagabend vor dem Gipfel, nach der brutalen Niederschlagung der Welcome-to-Hell-Demo ihren Höhepunkt.

Aber schon wenige Stunden später, spätestens mit den Bildern aus der Elbchaussee Freitagvormittag, kippte die Stimmung. In den Medien wurden fast ausschließlich die Pressemitteilungen der Polizei übernommen und die Frage nach Verhältnismäßigkeit und Demonstrationsrecht verschwanden gänzlich aus der Berichterstattung. Die Polizei hingegen legitimierte in ihren Pressekonferenzen und -mitteilungen unter anderem den bewaffneten Einsatz des SEKs in der Schanze durch Falschmeldungen. Eine später durch ihre eigenen Videoaufnahmen widerlegte Geschichte, dass Polizist*innen mit Gehwegplatten von Hausdächern aus beworfen wurden, diente als Rechtfertigung für den Einsatz der schwerbewaffneten Kräfte. Ähnliche Behauptungen legitimierten im weiteren Verlauf auch die Gewaltorgien der eingesetzten Polizeikräfte gegen alle Menschen, die sich zu der Zeit auf und um die Schanze versammelt hatten.

Mit Hilfe der Medien konnte die Polizei hier den Grundstein für ein rein auf Gewalt ausgerichtetes Bild der Proteste legen, das deren öffentliche Wahrnehmung, aber auch die Atmosphäre, in der die G20-Prozesse später vor Gericht stattfinden, maßgeblich bestimmt. Die Pressevertreter*innen machten sich zum Sprachrohr der Polizei, die endlich zeigen konnte, dass alle bereits im Vorfeld getroffenen Maßnahmen richtig gewesen seien, da es ansonsten noch viel schlimmer gekommen wäre.

Dieses Bild blieb auch nach dem Gipfel weitgehend bestehen. Kritische Berichte zum polizeilichen Angriff auf die Demo am Rondenbarg, mit mehreren schwer verletzten Demonstrant*innen, erreichten nie die Reichweite der von der Polizei vorgegebenen Dramatisierungen. So war die Berichterstattung national und international nach wie vor weitgehend mit den Pressemitteilungen der Polizei identisch und von Vorwürfen gegen die Aktivist*innen geprägt. Diese seien antidemokratisch und hätten den Protest nur zur Randale missbraucht. Zugleich wurde in Deutschland der Ruf nach einer möglichst harten Bestrafung der vermeintlichen Täter*innen laut.

Das Ganze gipfelte in einer Welle von Öffentlichkeitsfahndungen, die von privaten und staatlichen Medien unterstützt wurden. Entsprechend der vorher aufgebauten Stimmung wurden die abgebildeten Personen bereits für schuldig erklärt und teilweise mit sexistischen und rassistischen Zuschreibungen der Öffentlichkeit vorgeführt.

Die meisten Medien übernahmen die Darstellungen unhinterfragt und ungefiltert und boten somit riesige Bühnen, die ausschließlich die Sicht der Herrschenden auf den Gipfel zeigten. Damit wird auch die gesellschaftliche Atmosphäre bestimmt, in der die Prozesse nach dem Gipfel stattfanden und noch stattfinden.

Die ersten Prozesse

Nach dem Gipfel waren es vor allem Aktivist*innen ohne deutschen Pass, die mit der Begründung einer möglichen Fluchtgefahr länger in Untersuchungshaft saßen. So waren sie es auch, die die ersten Prozesse über sich ergehen lassen mussten. Entsprechend der beschriebenen Stimmung nach dem Gipfel waren die Strafmaße exorbitant hoch. Zum Beispiel wurde der junge Niederländer Peike Ende August 2017 für zwei Flaschenwürfe, deren einziger Beleg in der zweifelhaften Aussage der ihn festnehmenden Beamt*innen bestand, zu 2 Jahren und 7 Monaten Knast verurteilt. In den folgenden Berufungen wurden einige Urteile etwas abgemildert. Einen Effekt hatte das aber vor allem für die Wahrnehmung, dass die immer noch krassen Strafen als nicht mehr ‚ganz so schlimm‘ erschienen.

Zu den ersten Prozessen nach dem Gipfel gehörte auch das Verfahren gegen Fabio. Er wurde wegen der von der Polizei in der Straße „Am Rondenbarg“ zerschlagenen Demo angeklagt. Anders als bei den anderen Prozessen wurden ihm aber selbst keine Straftaten vorgeworfen, verurteilt werden sollte seine reine Anwesenheit. Erstmals in den G20-Prozessen kam dazu das sogenannte Hooligan-Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) aus 2017 auf den Tisch. Demnach habe es sich am Rondenbarg nicht um eine politische Demonstration gehandelt, sondern um eine Gruppe, die sich „zu Gewalt verabredet“ habe. Nach dem BGH-Urteil reicht damit die bloße Anwesenheit für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs aus, selbst wenn der Person selbst keine konkreten Straftaten vorgeworfen werden. Dass es darin um eine Schlägerei von Hooligans ging und der BGH die automatische Übertragung auf Demonstrationen ausgeschlossen hat, wurde dabei bewusst ignoriert.

Fabios Prozess platzte im Februar 2018, weil die zuständige Richterin ausfiel. Auch wenn der Prozess bis heute nicht neu aufgerollt wurde, besteht die Anklage weiterhin und Fabio muss damit rechnen, jederzeit wieder vor ein Gericht gezerrt zu werden. Das Konstrukt der entpolitisierten verabredeten Gewalttat wurde von der Staatsanwaltschaft aber nicht nur in Fabios Prozess, sondern auch im Elbchaussee-Prozess benutzt, um die Strafforderungen ohne individuell nachweisbare Taten in die Höhe zu treiben.

Timeline

7./8.7.17 G20-Gipfel in Hamburg und entschiedener, vielfältiger Protest dagegen
Hambuger Gitter, Film über die Proteste gegen den Gipfel (YouTube)
7.7.17 Demonstration in der Elbchaussee
27./28.7.18 bundesweit Hausdurchsuchungen, in Frankfurt am Main und Offenbach werden vier Menschen festgenommen, zwei gelten als Heranwachsende und müssen am nächsten Tag freigelassen werden
Solidarität mit den Frankfurter G20-Gefangenen! (UWS)
Bundesweite Hausdurchsuchungen wegen G 20 (radio dreyecksland)
18.8. 18 Festnahme von Loïc in Frankreich (Beschreibung in der Prozesserklärung von  Loïc (UWS) )
Oktober 18 Auslieferung von Loïc nach Deutschland, U-Haft Holstenglacis
9.11.18 Aussetzung der U-Haft für die beiden Genossen aus FFM/Offenbach durch Landgericht, wird vom OLG sofort kassiert; in der Folge Befangenheitsantrag der Staatanwaltschaft gegen die Richter*innen, der aber nicht durchkommt
Landgericht nicht hart genug (taz)
8.12.18 Text von Loïc zu Haftbedingungen (UWS)
18.12.18 Prozessbeginn
Göttinger NoG20-Soli-Newsletter #8
10.1.19 Ausschluss der Öffentlichkeit auf Antrag der Staatanwaltschaft
G20-Prozess ohne Presse (taz)
Anfang Februar 2019 Einlassung der vier Angeklagten aus FFM/Offenbach
14.2.19 die beiden Genossen aus FFM/Offenbach aus U-Haft entlassen, Haftbefehl aufgehoben
1.3.19 Gericht beschließt die Ladung von deutlich mehr Zeug*innen, weil auf Bullenberichte kein Verlass und Videos „suggestiv bearbeitet“ seien
Suggestiver Quatsch (jungle wolrd)
18.6.19 zweiter Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft wird abgelehnt
Richterin doch unbefangen (taz)
26.6.19 Gericht lehnt Antrag auf Haftverschonung (bzw. Aufhebung des Haftbefehls) ab, Loïc muss weiter im Knast bleiben
6.11.19 Rechtsgespräch zwischen Richter*innen, Anwält*innen und Staatanwaltschaft
Elbchaussee-Prozess: zum Rechtsgespräch am 06.11.19 (UWS)
18.12.19 Loïc kommt gegen Auflagen frei
Freiheit für Loic (nun etwas ausführlicher) (UWS)
12.1.20 Text von Loïc zum Knast und zur Freilassung
Die Mauern niederreißen, die den Knast von der Außenwelt trennen (UWS)
Frühjahr 2020 Prozess zieht sich, weil viele Termine wegen Corona ausfallen
17.6.20 Öffentlichkeit wieder zugelassen, Prozesserklärung von Loïc (UWS)
9.7.20 Zweite Prozesserklärung von Loïc (UWS)
10.7.20 Urteil
Elbchaussee-Ausschreitungen: Fünf junge Männer verurteilt (NDR)
»This is not justice, this is shit« (analyse & kritik)

Der Elbchaussee-Prozess startet

Im Dezember 2018 startete der Elbchaussee-Prozess, mit dem wir uns in diesem Text näher auseinandersetzen. Doch auch dieser Prozess begann eigentlich längst vor der offiziellen Eröffnung. So wurde Loïc am 18. August 2018 festgenommen und nach Hamburg verschleppt, die vier Genossen aus Frankfurt und Offenbach schon am 27. Juni 2018 nachdem bei ihnen Hausdurchsuchungen stattfanden. Da zwei der vier Genossen zum Zeitpunkt der ihnen vorgeworfenen Straftaten noch minderjährig waren, wurden sie bald wieder aus der U-Haft entlassen. Loïc und die zwei anderen Genossen aus Frankfurt/Offenbach blieben aber in U-Haft, deren Bedingungen von Anfang an katastrophal waren.

So berichteten die Soligruppen von der anfänglichen Isolation der Angeklagten und dass der Kontakt untereinander verhindert wurde. Außerdem kam es zu Zelldurchsuchungen und nächtlichen „Lebendkontrollen“, bei denen die Angeklagten ständig geweckt wurden. Damit wird deutlich, wie die Gefangenen gesehen wurden – als Schuldige für alles, was rund um den G20 Gipfel geschah.

Besonders eindrücklich ist die Geschichte von Loïc, der in einer temporären Zelle im Keller des Gerichtsgebäudes einen toten Vogel fand und diesen unterm Pullover in den Verhandlungssaal schmuggelte, um dort auf die unmenschlichen Haftbedingungen hinzuweisen.

Auch im Gericht war die U-Haft schon vor Prozessbeginn nicht unumstritten. So fand bereits am 9.11.2018 eine Haftprüfung bezüglich zwei der Genossen statt, bei der die Richterin die Freilassung anordnete. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein und nach wenigen Stunden in Freiheit kam das Urteil des Oberlandesgerichts – die Angeklagten mussten zurück in die U-Haft. Spätestens als sie sich daraufhin selbständig wieder zurück in Haft begaben, hätte eigentlich die von der Staatsanwaltschaft angeführte Fluchtgefahr widerlegt sein müssen. Stattdessen blieben sie – nicht zuletzt wegen der ebenfalls von der Staatsanwaltschaft hochgetrieben Straferwartung – weiter in Haft.

Um genau diese Straferwartung ging es auch bei einem Befangenheitsantrag, den die Staatsanwaltschaft rund um die Auseinandersetzung zur U-Haft gegen die Richterin stellte. Zur Einordnung: Das ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Es passiert zwar gelegentlich, dass im Rahmen eines Gerichtsverfahrens Befangenheitsanträge gestellt werden. Normalerweise kommen diese jedoch von der Verteidigung. Dass sich die Staatsanwaltschaft mit einem solchen Antrag gegen ‚die eigene‘ Vorsitzende richtet, ist dagegen sehr selten und wurde dementsprechend auch medial skandalisiert.

Inhaltlich ging es dabei um die oben bereits erwähnte Auseinandersetzung um die U-Haft. Konkret darum, dass die vorsitzende Richterin die Fluchtgefahr bei den Angeklagten für gering hielt, da sie von einem „geringen“ Strafmaß von bis zu drei Jahren Haft ausging. Diese Einschätzung der Richterin sah der Staatsanwalt als Parteinahme an und stellte den Befangenheitsantrag.

Der eigentliche Prozess beginnt also in einem durch Polizei, Medien und Staatsanwaltschaft extrem aufgeheiztem Klima. Die Angeklagten müssen sich nicht nur mit den vorgeworfenen Straftaten, sondern auch einer weitgehenden Vorverurteilung auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang steht auch eine Entscheidung des Gerichts am zweiten Prozesstag, die weitreichende Folgen für die Unterstützung der Angeklagten und die öffentliche und solidarische Prozessbegleitung hatte.

Öffentlichkeitsausschluss und trotzdem solidarische Begleitung

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft schloss das Gericht die Öffentlichkeit bis zu den Plädoyers von der Verhandlung aus – Gegen den Willen der Angeklagten.

Begründet wurde das mit einem sogenannten Erziehungsinteresse gegenüber zwei der fünf Angeklagten, die während des G20-Gipfels unter 18 Jahre alt waren sowie dem Schutz vor einer Vorverurteilung der Angeklagten durch eventuell reißerische Berichterstattung in der Presse. Dieses Kind war in den eineinhalb Jahren seit dem Gipfel aber wohl schon gründlich in den Brunnen gefallen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Staatsanwaltschaft weiterhin am Prozess teilnimmt und ihre Sicht ungeniert in der Presse verbreiten kann.

Die Staatsanwaltschaft machte keinen Hehl daraus, dass es ihr darum ging, eine solidarische Prozessbegleitung zu verhindern. In der vom Gericht übernommen Begründung wurden unter anderem die Standing Ovations von Freund*innen und Verwandten der Angeklagten an den ersten beiden Verhandlungstagen sowie die Empfehlung zur Aussageverweigerung durch die Rote Hilfe herangezogen, um zu begründen, dass die gezeigte Solidarität mit den Angeklagten für diese ‚erziehungsschädlich‘ sei.

Es sollte also explizit eine solidarische Prozessbegleitung verhindert werden. Besonders perfide ist das, wenn man bedenkt, dass einige der Angeklagten inhaftiert waren. Mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit wurde ihnen also auch die Möglichkeit genommen, wenigstens im Gerichtssaal Freund*innen zu sehen und emotionale Unterstützung zu bekommen.

Entgegen der Behauptung des Gerichts, im Schutzinteresse der Angeklagten gehandelt zu haben, forderten diese allesamt einen öffentlichen Prozess. Demnach nahmen die Angeklagten die Öffentlichkeit als Schutz wahr und es dürfe auch das große öffentliche Interesse nicht ignoriert werden, da es um die grundrechtlich sehr relevante Frage geht, was eine Demonstration ist.

Trotz allem gab es eine sehr präsente Unterstützung und Soli-Arbeit außerhalb des Gerichtssaales: Kundgebungen während der Gerichtstermine vor der Tür, Knast-Spaziergänge, Info-Veranstaltungen, Unterstützung bei Fahrtkosten und Schlafplätzen, Postkartenaktionen in den Knast, Demos zu Prozessbeginn und -abschluss, Geburtstagskundgebungen vor’m Knast und vieles mehr.

Auch die Angeklagten selbst schafften es, ihre Sicht nach außen zu tragen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Loïc brachte Eindrücke über seine Situation im Knast noch vor Prozessbeginn über Unterstützer*innen nach draußen und schrieb danach selbst zwei öffentliche Erklärungen, die nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft sowie zum Prozessende veröffentlicht wurden.1) Es war dem Gericht somit nicht vollständig gelungen die Öffentlichkeit vom Prozess und insbesondere von der Perspektive der Angeklagten fernzuhalten.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit schlägt sich aber auch in dem nieder, was wir hier über den Prozessverlauf berichten können. Wir müssen uns im Folgenden also auf einige Kernpunkte beschränken.

Bullen lügen

Dass Cops lügen ist für uns ja nichts Neues, dass es selbst dem Gericht auffällt, ist schon etwas bemerkenswerter. Im März 2019 erklärte das Gericht, dass auf das „geschriebene Wort wenig Verlass“ sei und meint damit die Polizeiakten. Nach Recherchen des NDR sollen zivile Zeug*innen bei ihrer Vernehmung während der Hauptverhandlung Aussagen, die die Polizei in deren Namen in der Ermittlungsakte vermerkt hatte, entschieden bestritten haben. Zeug*innen sollen Polizeivermerke als „Quatsch“ bezeichnet und beteuert haben, sie hätten solche Aussagen nie gemacht.

Offensichtlich war folgendes passiert: Nach der Demo in der Elbchaussee zogen Ermittler*innen los, Zeug*innen zu finden, die über Videos und Fotos verfügen, die für Identifizierungen von Teilnehmenden geeignet sind. Es ging also in allererster Linie darum, gut verwertbares Fahndungs-Material zu finden, um ‚Verantwortliche‘ ausfindig zu machen. Sämtliche Zeug*innenangaben zum Ablauf etc. waren für die Ermittelnden in diesem Moment nicht maßgeblich und wurden so, wie es die Polizist*innen brauchten, und eben zum Teil falsch wiedergegeben.

Spätestens zu dem Zeitpunkt als Polizei und Staatsanwaltschaft klar wurde, dass ‚die Verantwortlichen‘ nicht zu ermitteln sind oder vielleicht auch gar nicht existieren, rückten diese Neben-Bemerkungen in den Mittelpunkt. Das erklärte Ziel war, irgendwen verurteilen zu können, egal für was. Den wenigen Personen, die überhaupt ermittelt werden konnten, sind allerdings keine individuellen Straftaten nachzuweisen. Mit einem Böllerwurf und einer verschobenen Mülltonne hatte die Polizei nur Bagatellen für zwei der fünf Angeklagten zu bieten.

Die Staatsanwaltschaft versuchte es deswegen mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs und kam, wie oben erwähnt, mit besagtem Hooligan-Urteil um die Ecke. Um die These der verabredeten Gewalttat jenseits einer Demo zu stützen, wurde im Folgenden das gesammelte Material massiv frisiert und die Staatsanwaltschaft versuchte mit einer gemeinsamen Planung und Organisation zu argumentieren.

Demnach haben sich die Teilnehmenden vorab im Donners Park getroffen, sich dort schwarze Kleidung angezogen und seien dann losmarschiert. In der Anklage stützt sich die Staatsanwaltschaft dabei auf vermeintliche Zeug*innenaussagen wie diese: „Etwa eine halbe Stunde später ging das Drama los. Plötzlich waren sie alle schwarz gekleidet und formierten sich zu einem schwarzen Block“. Allerdings bestritten mehrere Zeug*innen in der Hauptverhandlung, dies gegenüber der Polizei so gesagt zu haben. Das hätten sie gar nicht gekonnt, da sie es nur im Vorbeilaufen wahrgenommen haben, gar keine Sicht darauf hatten oder ähnliches.

Dass die sogenannten Ermittlungen sehr fragwürdig waren, dürfte auch den beteiligten Polizist*innen klar gewesen sein. Vor Gericht wollte jedenfalls niemand Verantwortung übernehmen. So gab ein an Videozusammenschnitten beteiligter Polizist an, er sei kein „Ermittler“ gewesen, er will ausschließlich Anweisungen von „Ermittlern“, deren Namen er nicht erinnern konnte oder wollte, zu Zeitpunkten, an die er sich nicht mehr erinnert, entgegengenommen und diese dann in einer Art und Weise, an die er sich auch nicht erinnert, umgesetzt haben. Wenig verwunderlich stellte sich bei der Vernehmung des Ermittlungsführers der „Soko Schwarzer Block“ heraus, dass angebliche Ermittlungsergebnisse im Abschlussbericht wohl doch eher „Arbeitshypothesen“ waren und nicht dazu taugen eine Anklage darauf zu stützen. Fazit: die Cops haben das in ihrem Bericht geschrieben, was ihnen ins Bild passt. Na sowas.

Ähnliches bei den Videos. Hier sprechen die Richter*innen von „suggestiven Bearbeitungen“ durch die Polizei, durch die die Videos aussagekräftiger wirkten als sie tatsächlich sind. All das führte dazu, dass die Richter*innen den Berichten nicht mehr trauen wollten und die Vernehmung von deutlich mehr Zeug*innen als geplant anordneten. Alles, um sich selbst ein Bild zu machen. Das war’s dann aber auch schon wieder.

Obwohl die gesamte Anklage offensichtlich auf Lügen und Phantastereien der Polizei aufgebaut war, beendeten die Richter*innen den Prozess nicht. Das Ziel, wenigstens einige wenige irgendwie zu verurteilen, wurde weiter verfolgt. Zumal zu diesem Zeitpunkt ja auch schon die über U-Haft abgepressten Eingeständnisse von vier Angeklagten vorlagen, vor Ort gewesen zu sein.2) Die Staatsanwaltschaft hätte also zufrieden sein können, war sie aber nicht. Sie wittert Parteilichkeit, weil die Richter*innen den Lügen der Polizei nicht einfach glauben wollten und versuchte sie über einen erneuten Befangenheitsantrag loszuwerden.

Die zusätzlichen Befragungen brachten dann wenig neue Erkenntnisse, außer dass unter den Anwohner*innen der Elbchaussee eine große Verbitterung über ignorierte Notrufe, eine abwesende Polizei und eine Feuerwehr, der von der Polizei das Löschen verboten wurde, besteht. Ein aufgrund der manipulierten Videos in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten zur Identifizierung von Loïc wurde, nachdem es nicht das gewünschte, einer Verurteilung dienende, Ergebnis brachte, von den Richter*innen schlicht ignoriert und durch die eigene Wahrnehmung ersetzt. Immer das Ziel vor Augen, irgendwen für irgendwas verurteilen zu können. Und genau dieses von Anfang an feststehende Ziel entlarvt den gesamten Prozess als politisch motiviertes Rechtsstaats-Theater.

Demo oder keine?

Wie bereits erwähnt, sollten die Angeklagten mangels individuell zuordenbarer Straftaten für Landfriedensbruch in der Elbchaussee am Morgen des 7.7.2017 verurteilt werden.

„Landfriedensbruch“

Der Straftatbestand des Landfriedensbruchs ist in den §§ 125 und 125a StGB geregelt und soll per Definition folgende Handlungen bestrafen: „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden; wer als Täter oder Teilnehmer sich beteiligt oder auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern.“ Dabei werden verschiedene Formen unterschieden: der gewalttätige, der bedrohende und der aufwieglerische Landfriedensbruch. Landfriedensbruch wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, der besonders schwere Fall des Landfriedensbruchs wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

Dabei ist wichtig zu beachten, dass § 125 StGB sowohl die Täterschaft als auch die Teilnahme an den Tathandlungen unter Strafe stellt. Es ist also unerheblich, ob man die Tat eigenhändig, als mittelbare*r Täter*in durch eine*n andere*n, als Mittäter*in, als Anstifter*in oder als Gehilfe *in begeht – man ist immer Täter*in im Sinne des § 125 StGB.

Dass der Landfriedensbruch-Paragraf in der Praxis schon regelmäßig auf politische Aktionen angewendet und damit zur Kriminalisierung von Aktivist*innen genutzt wird, ist klar. Juristisch ist die Definition aber umkämpft, insbesondere wenn es um Menschenmengen geht, die unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen können.

Aber auch für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs braucht es „individuelle Tatbeiträge“. Es muss also aus der bloßen Anwesenheit ein individueller Tatbeitrag herkonsturiert werden. Die Staatsanwaltschaft zog in ihrer Anklage dafür – wie auch im oben erwähnten Prozess gegen Fabio – das sogenannte Hooligan-Urteil des BGH aus 2017 heran. In Anlehnung daran sei der individuelle Tatbeitrag der Angeklagten das „ostentative Mitmarschieren“ in der Elbchaussee gewesen, womit sie die „gewaltbereiten Gruppenmitglieder“ unterstützt hätten.

In dem Urteil des BGH ging es allerdings um eine verabredete Schlägerei zwischen Fans zweier Fußballmannschaften. Das Gericht wertete in diesem Fall das „ostentative Mitmarschieren“, also ein bewusst herausforderndes Mitlaufen in einer Gruppe, als „psychische Beihilfe“ für die gewalttätigen Hooligans und bejahte eine Strafbarkeit. Und zwar auch dann noch, wenn die betreffende Person den Ort des Geschehens längst verlassen hat. Allerdings wird in der Urteilsbegründung explizit betont, dass die verhandelte Situation nicht mit der politischen Motivation bei einer Demonstration zu vergleichen und das Urteil dementsprechend nicht ohne Weiteres übertragbar sei. Aus diesem Grund ging es im Prozess in großen Teilen darum, ob es sich in der Elbchaussee um eine Demonstration gehandelt habe oder nicht.

Die Staatsanwaltschaft findet natürlich, dass es keine Demo war, sonst würde ihr Konstrukt ja nicht mehr so gut funktionieren. Demnach habe es bei den gut 200 Anwesenden einen „gemeinsamen Tatentschluss“ gegeben, es sei ausschließlich um Zerstörungswut gegangen und die Straftaten seien durch „gewollt arbeitsteiliges Zusammenwirken“ verübt worden. Wiederholt wird von der angeblich perfekt durchgeplanten Aktion berichtet. Als Indiz für die minutiöse Planung des Zuges muss unter anderem das Wechseln von Kleidung herhalten. Die Aufgabe der Angeklagten habe darin bestanden „sich in die geschlossene Formation einzugliedern, ostentativ mitzumarschieren und hierdurch Solidarität mit den gewaltbereiten Gruppenmitgliedern zu zeigen und ihnen psychischen und tatsächlichen Rückhalt zu gewähren.“ Belege gibt es für diese Behauptungen der Staatsanwaltschaft allerdings keine, auch in der Anklage werden keine belastbaren Belege angeführt. Wie im vorigen Abschnitt erklärt, basiert die ganze Anklage ja hauptsächlich auf den „Arbeitshypothesen“ aus Kreisen der Soko Schwarzer Block.

Die Verteidiger*innen argumentierten dagegen, dass der Aufzug in der Elbchaussee keine der Anwendung von Gewalt dienende Aktion gewesen sei und eindeutig als Demonstration zu erkennen war. Dafür sprechen unter anderem der Zeitpunkt am Aktionstag „Block G20“, der überwiegend nicht gewalttätige Anteil der Teilnehmenden sowie ein voran getragenes Transparent. Im Laufe des Prozesses wurde von mehreren Augenzeug*innen und einem Sachverständigen insbesondere das beschriebene Mitlaufen und das angebliche Wechseln der Kleidung als durchaus typisches Demo-Verhalten eingeordnet. Auch das lässt die Staatsanwaltschaft in ihrem erfolgreichen Versuch der Entpolitisierung des Geschehens unter den Tisch fallen.

An dieser Stelle möchten wir noch einmal deutlich machen: Wir gehen der Frage, ob es sich um eine Demonstration gehandelt hat, hier nach, um den Prozessverlauf und dahinter stehende Positionen deutlich zu machen. Für uns stellt sich die Frage in diesem Sinne überhaupt nicht. Das war eine politische Aktion. Punkt. Die können wir sinnvoll finden oder auch nicht. Aber die hier besprochene Frage ist eine juristische. Danach, welche Paragrafen und Präzedenzfälle anwendbar sind etc. Das ist nicht die Grundlage für unsere politischen Bewertungen und Einordnungen.
Gleichzeitig ist uns bewusst, dass juristische Auslegungen ganz praktische Auswirkungen auf unseren politischen Alltag haben.

Was würde ein Urteil im Sinne der Anklage also politisch bedeuten?

Die Frage, ob es sich um eine Demo gehandelt hat oder nicht, ist wichtig dafür, wie leicht sich das Hooligan-Urteil übertragen und anwenden lässt. Also wie leicht es künftig sein wird, Menschen wegen der Teilnahme an Demonstrationen für Landfriedensbruch zu verurteilen. Wenn eine Versammlung nicht als eine Demo bewertet wird, kann die Argumentation des Hooligan-Urteils automatisch angewendet werden, um einen Menschen wegen Landfriedensbruchs zu verurteilen. Wenn es als Demo anerkannt wird, schützt das nicht automatisch vor einer Anwendung des Hooligan-Urteils, erschwert sie aber. In dem Fall ist eine genauere Überprüfung der Umstände notwendig.

Geben wir uns keinen Illusionen hin, im Strafrecht geht beim Landfriedensbruch auch so schon ne ganze Menge. So reicht zum Beispiel unterstützendes Rufen bereits jetzt für eine Verurteilung aus. Wenn hier aber ein Präzedenzfall für die Anwendung des Hooligan-Urteils auf Demonstrationen geschaffen wird, braucht es zukünftig überhaupt keinen Nachweis einer individuellen Handlung mehr. Dann reicht es, irgendwo gewesen zu sein, um für alles während und nach Verlassen des Geschehens verantwortlich gemacht werden zu können.

Ohne die schriftliche Urteilsbegründung lässt sich noch nicht beurteilen, inwieweit das Gericht der Argumentation der Staatsanwaltschaft inhaltlich folgt. Das wird auch relevant sein für die Rolle dieses Prozesses als Präzedenzfall und damit die Bedeutung für die Versammlungsfreiheit.

Aber zurück zum eigentlichen Elbchaussee-Prozess. Eine auf tendenziösen Ermittlungen sowie bewussten Lügen aufbauende Anklage und ein Prozess, der all das zwar feststellt, aber zugunsten einem über allem stehenden Verurteilungswillen ignoriert, entlarvt das ganze Schauspiel als Farce – als Theater zu Lasten der Angeklagten.

Das Rechtsstaats-Theater

In diesem Theaterstück wird ein Gerichtsprozess aufgeführt, der, obwohl eine Verurteilung von vorneherein feststeht, so etwas wie ‚Rechtsstaatlichkeit‘ suggerieren soll. Die Staatsanwaltschaft gefällt sich dabei in der Rolle des ‚Hardliners‘. Mit krassen Sprüchen, schwerwiegenden Anklagepunkten und völlig überzogenen Forderungen liefert sie den Richter*innen die Vorlagen für ihre Rolle. Diese können sich als Hüter*innen des Rechtsstaates inszenieren. Jede Abweichung von der Forderung der Staatsanwaltschaft erscheint milde, das Gericht wirkt wie die gerechte Instanz, die den Mittelweg zwischen den Forderungen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung sucht. Im Ergebnis erscheinen harte Strafen als gar nicht mehr so schlimm und eine Abwendung größeren Übels.

Dabei ist die Strafforderung an sich schon ein Skandal. Denn wie oben beschrieben, soll das Hooligan-Urteil den Weg dafür ebnen, das reine Mitlaufen zu bestrafen. Das juristische Geplänkel um die Demo-oder-nicht-Frage gibt wiederum allen Beteiligten viel Raum sich ihrer Rolle entsprechend in Szene zu setzen. Teil dieser Aufführung sind auch die oben erwähnten Befangenheitsanträge der Staatsanwaltschaft, mit denen sie versucht, ihre ‚harte Linie‘ zu unterstreichen.

Auch wenn es an der hier skizzierten Rollenverteilung nichts Wesentliches geändert hätte, gehört die vorsitzende Richterin gerade im G20-Kontext doch eher zu den Gemäßigteren. Oder anders ausgedrückt, es hätte mit anderen Richter*innen auch schlimmer kommen können und die Lügen der Polizei wären zum Beispiel gar nicht thematisiert worden. Wäre „sozialdemokratisch“ ein anerkanntes Schimpfwort, würde es das Verhalten der Richterin gut beschreiben: in etwas Pseudokritik verpackt, die gleiche Scheiße wie alle verzapfen.

Doch auch jenseits dessen ist das, was da gespielt wird kaum mehr als ein Rachezug für die bürgerliche Ordnung. Denn natürlich steht am Ende dieser Inszenierung nicht der eigentlich fällige Freispruch oder eine Einstellung, sondern das von Beginn an geplante Urteil. Von den enormen Belastungen der Angeklagten mit U-Haft, einem über 18-Monatigen Prozess und einer weitreichenden, diffamierenden Medienkampagne mal ganz zu schweigen.

Als bisher letzten Akt des Schauspiels schwafelt die vorsitzende Richterin bei der Urteilsverkündung gar noch davon, dass dieses Urteil jetzt aber nicht für andere Urteile herangezogen werden solle – ein doch eher lächerlicher Versuch sich aus der Verantwortung zu ziehen. Denn das Dank der rechtsstaatlichen Inszenierung auf den ersten Blick milder erscheinende Urteil hat es in sich – so viel kann man auch ohne die schriftliche Begründung schon sagen. Jenseits der strafrechtlichen Bedeutung kann dieses Urteil auch eine Basis für zivilrechtliche Ansprüche, wie bspw. Schadensersatz, gegenüber den Angeklagten darstellen. Kosten, die für jeden Einzelnen eine immense Belastung bedeuten – und das völlig unabhängig von eigenen Taten.

Was bleibt?

Dieser Prozess zeigt wieder mal in aller Deutlichkeit, dass es uns niemals um bessere Urteile innerhalb des Systems gehen kann. Inszeniert wird hier die gerechte Vergeltung eines Systems gegenüber denjenigen, die es wagen, die herrschende Ordnung in Frage zu stellen. Dabei muss für uns klar sein, dass ein System, das systematisch Menschen entrechtet, ermordet und weltweit auch in anderen Staaten dazu aktive Unterstützung leistet, in seinen Handlungen gestört und in seiner Ordnung gefährdet gehört.

Was lässt sich nun aus dem Geschriebenen für die tägliche Praxis ableiten? Einige wichtige Fragen sind zu diesem Zeitpunkt leider nicht abschließend zu beantworten. Ohne das schriftliche Urteil bleiben die Argumente des Gerichts nur vage und Richter*innen sind generell nicht an die mündliche Argumentation gebunden. Diese kann im schriftlichen Urteil wieder ganz anders ausfallen. Was jedoch sicher gesagt werden kann ist, dass es ein politischer Prozess war auf dessen Grundlage es niemals zur einer Verurteilung hätte kommen dürfen. Die Anklage war von Anfang an darauf aus, mit der Forderung nach einem völlig überzogenen Strafmaß, selbst nach einer Abmilderung durch das Gericht, hohe Strafen zu erreichen. Auch wird dieses Urteil mit ziemlicher Sicherheit als Vorlage und Bezugspunkt für weitere Urteile herangezogen werden. Da hilft es wenig, wenn die vorsitzende Richterin dies eigentlich ausschließen möchte.

Trotz der bald zu erwarteten Urteilsbegründung sind die Urteile nicht gleich rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft ist weiter auf hohe Strafen aus und hat für alle Angeklagten Revision beantragt. Auf der anderen Seite akzeptiert auch Loïc das ungerechte Urteil nicht und geht ebenfalls in Revision.

Demo in Göttingen am 11.7.2020 (Bild: Links Unten Göttingen)

Dieser Prozess und dieses Urteil sind ein eindeutiger Versuch, die Aktionsform Demo zu kriminalisieren und zu verunmöglichen. Die juristische Auseinandersetzung darum ist aber auch jenseits des Elbchaussee-Prozesses noch nicht vorbei. Ihren nächsten Schauplatz wird sie, wie bereits erwähnt, im noch nicht abgeblasenen Rondenbarg-Verfahren finden.3) Dabei liegen Anklageschriften gegen ca. 80 Genoss*innen vor und es wird ebenfalls versucht, Menschen für das Ausüben ihres angeblich rechtsstaatlich gewährten Demonstrationsrechts zu kriminalisieren. Während in den letzten Jahren rechte Polizist*innen für das illegale Anhäufen von Munition und Waffen lediglich Bewährungsstrafen bekommen haben, wird mit riesigem Aufwand gegen Personen ermittelt, die lediglich an einer Demonstration teilgenommen haben. Aber auch diese Repression wird uns nicht abschrecken. Denn unser Aktivismus zeigt immer wieder auf, dass ihre Ordnung nicht so unangreifbar ist, wie einige es gerne hätten!

Fußnoten

1) siehe auch:
Neuigkeiten von Loïc Citation
Die Mauern niederreißen, die den Knast von der Außenwelt trennen (UWS)
Prozesserklärung von Loïc
2. Prozesserklärung von Loïc

2) Sowohl die Art und Weise, wie diese Einlassungen der Frankfurter/Offenbacher Angeklagten zustande kamen, als auch eine Analyse und Bewertung des Umgangs damit würde einen eigenen Text füllen und soll deswegen hier nicht weiter betrachtet werden.

3) Hintergrund-Informationen zum Rondenbarg-Prozess

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Soli-Erklärung Göttinger Gruppen zum anstehenden Rondenbargprozess in Hamburg

An die fünf Angeklagten.

Wir sind solidarisch mit euch und allen anderen, auf die noch ein
Prozess wartet. Wir wissen, das jede*r von uns an eurer Stelle sein könnte. Ihr seid es an denen der Staat jetzt ein Exempel statuieren will, aber ihr seid damit nicht alleine. Wir haben und werden weiterhin gemeinsam unsere Kämpfe für eine emanzipatorische, antikapitalistische Gesellschaft ohne Patriarchat, Rassismus, Faschismus und Klimakollaps auf die Straße tragen.

Im Juli 2017 fand der G20-Gipfel in Hamburg statt. Das haben viele von uns zum Anlass genommen, um international und spektrenübergreifend zu Zehntausenden gegen die kapitalistischen Verhältnisse zu protestieren. Wir haben uns dabei weder von Verbotszonen noch von massiver Polizeigewalt abschrecken lassen. Neben alternativem Gipfel, Portestcamps und vielfältigen weiteren Aktionen gab es auch zahlreiche
Demonstrationen.

Am Morgen des 7. Juli 2017 starteten verschiedene Demonstrationszüge, mit dem Ziel, die sogenannte rote Zone, ein Sperrgürtel um den Gipfel, zu erreichen und zu blockieren. Im
Gewerbegebiet Rondenbarg attackierten Polizeieinheiten ohne Vorwarnung einen dieser Demonstrationszüge. Bei diesem Angriff wurden 14 Demonstrierende schwer verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Bei einigen kam es zu bleibenden Verletzungen, deren Behandlung noch andauert. 59 weitere Aktivist*innen wurden festgenommen. Fabio, einer von ihnen, saß fast fünf Monate in Untersuchungshaft.

Über drei Jahre später sollen jetzt Gruppenprozesse gegen über 80 Personen beginnen, die die Polizei der Demo am Rondenbarg zuordnet. In den Anklagen werden keine individuellen Straftaten, sondern nur die reine Anwesenheit vorgeworfen. Offensichtlich geht es darum, die Polizeigewalt nachträglich zu rechtfertigen. Ein Pilotverfahren soll am 3.12.2020 vor dem Hamburger Landgericht starten. Für diesen Prozess haben Staatsanwaltschaft und Gericht mit euch fünf der jüngsten Angeklagten ausgesucht. Und ihr müsst euch vorraussichtlich über ein Jahr mit der Scheiße herumschlagen. Egal wie dieser Prozess letztendlich ausgeht, bereits die Rahmenbedingungen
stellen eine massive Bestrafung dar. Am Beginn von Ausbildung oder Studium wird von euch erwartet, ca. einmal die Woche nach Hamburg zum Prozess zu reisen. Wir können euch im Gerichtssaal nicht begleiten, da die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen ist. Wir sind aber in Gedanken bei euch, werden euch unterstützen und uns auch hier in Göttingen dafür einsetzen, dass dieser Prozess nicht im Verborgenen stattfinden kann. Wir fordern, den von staatlichen Rachegelüsten getriebenen Prozess in Hamburg sofort einzustellen, die Angeklagten freizusprechen und alle übrigen Anklagen fallen zu lassen!

Ihr seid nicht alleine, denn angeklagt sind einige, gemeint sind wir alle!

Wir wünschen euch viel Kraft und senden euch unsere Solidarität.

Mit solidarischen Grüßen

antifaschistische linke international >a.l.i.< | f.antifa göttingen | femko | ga+fa, Gruppe für antifaschistische und feministische Arbeit | Gö8gegenG20 | Juzi | NoG20-Soli-Gruppe Göttingen | R&A

Wenn ihr die Erklärung auch noch unterzeichnen wollt, meldet euch per Mail.

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Grußwort der fünf Angeklagten im ersten Rondebar-Prozess

Liebe Genoss*innen,

als die 5 Angeklagten, die nun am kommenden Donnerstag in Hamburg vor Gericht stehen werden, wollten auch wir uns nun mal bei euch melden. Die gesamten Aktionen am jetzigen Wochenende, am Donnerstag zum Prozessbeginn und auch die Demo am 05.12. – die Unterstützung und Solidarität von verschiedensten Seiten die wir in den letzten Wochen erfahren haben hat uns Kraft gegeben und uns greifbar gemacht, dass wir
tatsächlich alle gemeint sind. Auch wenn es jetzt erstmal nur uns 5 getroffen hat, zeigt ihr so, dass wir alle zusammenstehen. Der Ausgang unseres Prozesses beeinflusst nicht nur die Verfahren gegen die knapp 80 weiteren Beschuldigten vom Rondenbarg. Er wird auch zeigen, inwieweit das Demonstrationsrecht beschnitten werden und linke Straßenpräsenz immer weiter kriminalisiert werden kann. Der Protest gegen die G20 und
das kapitalistische System für das sie stehen: Umweltzerstörung, Kriege; Flucht, Abschottung und Überwachung; Ausbeutung und Unterdrückung – den wir damals gemeinsam auf die Straße getragen haben ist immer noch legitim und notwendig. Wenn die Justiz uns deswegen verfolgt, dann zeigt sie schlicht und einfach nur, wessen Interessen sie durchsetzen soll: die der herrschenden Klasse.

Bewusst wird jetzt mit uns 5 jüngsten Angeklagten angefangen. Hinter der Begründung dafür, vermeintlich unsere Entwicklung nicht weiter zu behindern, steckt vielmehr die Möglichkeit für die Repressionsbehörden, diesen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen und uns im Gerichtssaal zu isolieren.

Aber was soll überhaupt über 3 Jahre nach dem Gipfel verhandelt werden? Mehr als die Anwesenheit bei der Demo – wir 5 wurden im Rondenbarg festgenommen – kann niemanden der über 80 Betroffenen vorgeworfen werden.

Dennoch sollen wir für die nächsten Monate wöchentlich nach Hamburg fahren und so Studium, Ausbildung und unser sonstiges Leben auf den Kopf stellen …

Aber wenn wir uns hiervon verrückt machen und einschüchtern lassen, hat die Repression ihre Wirkung schon erzielt. Durch eure Solidaritätsaktionen schaffen wir es auch weiter nach vorne zu blicken und das Gerichtsverfahren kämpferisch zu führen. Wenn wir als linke Bewegung genau das schaffen: weitermachen trotz Repression und weiterhin für eine solidarische Gesellschaft zu kämpfen – dann haben wir schon gewonnen.

Genauso wie wir gerade viel Solidarität erfahren, wollen wir allen
anderen, von Repression betroffenen, unsere Verbundenheit ausdrücken.

United we Stand!

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Prozesse zum Rondenbarg starten

Am 3. Dezember diesen Jahres soll der erste Prozess im Zusammenhang mit
der Demo am Rondenbarg während des G20-Gipfels in Hamburg 2017 starten.

Die Demonstration wurde von der Polizei massiv angegriffen. Viele
Demonstrant*innen wurden schwer verletzt und über 60 Menschen im
Anschluss festgenommen. Um diesen gewalttätigen Polizeieinsatz im
Nachhinein zu rechtfertigen, sollen nach fast drei Jahren
voraussichtlich über 80 Personen vor Gericht gestellt werden – einige
davon aus Göttingen. In den Anklagen werden keine individuellen
Straftaten, sondern nur die reine Anwesenheit vorgeworfen.
Sollte diese Strategie Erfolg haben, wäre es dem Staat jederzeit
möglich, für noch so kleine Vorfälle eine gesamte Demonstration zu
verfolgen und zu kriminalisieren. Es geht bei dem Prozess in Hamburg
also nicht nur um mögliche Strafen für unsere Genoss*innen, sondern auch
um die grundsätzliche Verschärfung der Bedingungen unter denen wir auf
die Straße gehen.
Weil das Landgericht Hamburg die jüngsten Beschuldigten für den
Pilotprozess ausgesucht hat, kann die Öffentlichkeit von dem Verfahren
ausgeschlossen und somit die Begleitung durch solidarische
Unterstützer*innen und kritische Presse im Gerichtssaal unterbunden werden.

Wir lassen die Angeklagen dennoch nicht alleine! Angeklagt sind einige,
gemeint sind wir alle!

Mehr Infos findet ihr hier:

https://goe8gegeng20.noblogs.org/
https://rondenbarg-prozess.rote-hilfe.de
https://gemeinschaftlich.noblogs.org/

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Erster Rondenbarg-Prozess soll im Dezember beginnen

Erklärung der Roten Hilfe:

Auch nach mehr als drei Jahren nach dem G20-Gipfel in Hamburg ist ein Ende der staatlichen Repression nicht abzusehen. Im Dezember soll der erste Prozess im sog. Rondenbarg-Komplex gegen fünf junge Angeklagte starten. Sie sind die jüngsten der insgesamt über 80 Angeklagten, denen im Rahmen eines Pilotverfahrens der Prozess gemacht werden soll. An ihnen sollen exemplarisch die Beweisführung und Konstruktion der Vorwürfe durchexerziert werden, die nach dem Willen der Staatsanwaltschaft auch in möglichen späteren Verfahren gegen ihre Genoss*innen angewandt werden sollen.

 Die Angeklagten gehören zu den ca. 200 Demonstrant*innen, die am Morgen des 7. Juli 2017 in der Straße Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld von einer BFE-Einheit ohne Vorwarnung angegriffen wurden, als sie auf dem Weg zu Blockadeaktionen waren. Bei diesem Angriff wurden zahlreiche Aktivist*innen verletzt, elf von ihnen schwer.

 Das staatsanwaltliche Konstrukt sieht nicht vor, individuelle strafbare Handlungen nachzuweisen. Allein die Anwesenheit der Beschuldigten vor Ort genüge, um ein gemeinsames Tathandeln zu unterstellen, was für eine Verurteilung ausreiche. So werden auch den Beschuldigten keine konkreten Straftaten zugeordnet. Falls sich diese Rechtsauffassung durchsetzen sollte, wäre künftig jede Teilnahme an einer Demonstration mit enormen Kriminalisierungsrisiken verbunden. Straftaten Einzelner könnten so allen vor Ort befindlichen Personen zugeschrieben werden.

 Weil das Landgericht Hamburg die jüngsten Beschuldigten ausgesucht hat, kann die Öffentlichkeit von dem Verfahren ausgeschlossen und somit die Begleitung durch solidarische Unterstützer*innen und kritische Presse im Gerichtssaal unterbunden werden. Der anstehende Prozess bedeutet einen massiven Eingriff in die Lebensgestaltung und Perspektiven der jungen Aktivist*innen, der die ohnehin schon enorme Belastung durch die eigentliche Repressionsmaßnahme verschärft. Einmal wöchentlich müssen die Genoss*innen, die in verschiedenen Städten leben, ab Ende 2020 zu dutzenden Verhandlungstagen nach Hamburg fahren. Damit wird es über einen unabsehbar langen Zeitraum unmöglich, geregelte Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Als Prozessauftakt plant das Gericht derzeit den 3. Dezember 2020.

„Von Anfang an war es skandalös, wie die Hamburger Polizei nach ihrem blutigen Angriff gegen die Demonstration im Rondenbarg die Vorgänge uminterpretiert hat“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. „Die Aktivist*innen, von denen etliche nach dem brutalen Einsatz im Krankenhaus behandelt werden mussten, sehen sich seither massiver staatlicher Repression ausgesetzt. Dass nun den Jüngsten die berufliche Perspektive zunichte gemacht werden soll, indem sie ab Dezember aus dem gesamten Bundesgebiet regelmäßig zu den ohnehin belastenden Prozessterminen nach Hamburg fahren müssen, obwohl ihnen keinerlei konkrete Straftaten vorgeworfen werden, ist schlichtweg nicht hinnehmbar. Die Rote Hilfe e.V. fordert die umgehende Einstellung dieser offensichtlich politisch motivierten Verfahren und steht solidarisch an der Seite der Betroffenen.“


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Hohe Strafen im Elbchaussee-Prozess

Demo in Göttingen am 11.7.2020 (Bild: Links Unten Göttingen)

Nach über 1,5 Jahren Verhandlungsdauer wurden am Freitag, den 10.7.2020 im Elbchaussee-Verfahren die Urteile verkündet. Loic wurde zu drei Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. Die Offenbacher Genossen erhalten 15 bzw. 18 Monate auf Bewährung und die jugendlichen Angeklagten müssen jeweils 120 Arbeitsstunden ableisten. Diese hohen Strafen knüpfen an die anderen G20-Urteile an, auch wenn sie hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft bleiben. Sie sind die Rache für den verpatzen Gipfel. Urteile wie dieses dienen dazu, die politischen Motive der Aktivist*innen zu diskreditieren und sollen andere von politischem Protest abschrecken.

Die Richterin folgte nicht der Forderung der Staatsanwaltschaft, das sogenannte Hooliganurteil auf die Demonstration in der Elbchaussee anzuwenden und wies sie als politische Stimmungsmache zurück. Gleichzeitig befand das Gericht das Demonstrationsrecht aber auch nicht anwendbar. So fanden sie trotzdem einen Weg, alleine die Anwesenheit auf der Demo in der Elbchaussee zu bestrafen. Es sei u.a. die schwarze Kleidung, mit der die Aktivisten ihre Zustimmung zu den begangenen Straftaten ausgedrückt hätten und folglich dafür auch bestraft werden können.

Ihre heuchlerische Kritik an der Polizeigewalt auf dem Gipfel und den tendenziösen Ermittlungen im Nachgang kann sich die Richterin sparen, da sowohl der Prozess als auch ihr Urteil genau auf dieser Polizeiarbeit beruhen. Auch ihr Wunsch, dass das Urteil keine Basis für kommende Prozesse ist, dürfte sich nicht erfüllen. Denn schon bald sollen in Massenprozessen Teilnehmer*innen der Demo am Rondenbarg wieder fürs Dabeigewesensein bestraft werden.

Wir bleiben dabei: Wir lassen uns nicht spalten in ihre Kategorien von friedlich und nicht-friedlich. Wir werden uns immer wieder das Recht nehmen für unsere Ziele mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Straße zu gehen!

Danke an alle, die gestern und heute in Hamburg, Göttingen und anderswo in Solidarität mit den Angeklagten auf der Straße waren!

Unser Kampf geht weiter, auf der Straße und gezwungenermaßen auch im Gerichtssaal. Denn sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft haben Revision angekündigt. Wir freuen uns für Loic, dass er bis dahin erstmal nicht zurück in den Knast muss.

Weiterhin fordern wir:
Freisprüche im Elbchaussee-Prozess!
Einstellung aller weiteren G20-Verfahren!
Freiheit für alle politischen Gefangen!

Demo am 11.7. in Göttingen (Bild: Links Unten Göttingen)

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Urteile im Elbchaussee-Prozess erwartet

Am Freitag, den 10. Juli soll das Urteil im Elbchausseeprozess fallen – ziemlich genau drei Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg.  Über eineinhalb Jahre wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen Loïc aus Frankreich und vier weitere Genossen aus Frankfurt/Offenbach verhandelt. Sie sollen für alle entstandenen Sachschäden während der Demo in der Elbchaussee zur Verantwortung gezogen werden, völlig unabhängig davon, ob ihnen individuell etwas vorgeworfen wird. Sie sollen exemplarisch bestraft werden: als Rache für den verpatzen Gipfel und um andere Aktivist*innen abzuschrecken.
Loïc saß bereits fast eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft und zwei der Genossen aus Hessen über ein halbes Jahr.

Die Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre und neun Monate Haft für Loïc und seine umgehende Inhaftierung nach der Urteilsverkündung. Für die vier weiteren Aktivisten werden Haftstrafen von zweieinhalb bis drei Jahren gefordert.

In diesem Prozess wird ein Konstrukt herangezogen, die Demonstration in der Elbchaussee nicht als eine solche zu werten. Das macht es erst möglich, Genoss*innen für die reine Anwesenheit im Umfeld der Demo zu bestrafen. Nähere Infos dazu findet ihr hier: https://nog20soligoe.blackblogs.org

In seiner sehr eindrücklichen Prozesserklärung fasst Loïc das so zusammen: „Es gibt einen besonders schwerwiegenden Aspekt in dieser Angelegenheit: 5 Personen müssen für sämtliche Schäden einer Demonstration gradestehen. 99 % der vorgeworfenen Taten zielen nicht persönlich auf die Angeklagten ab. Die Anklage erstreckt sich auf über eine Million Euro Schäden. Der Staatsanwalt versucht eine weitreichende Sicht der Komplizenschaft zu konstruieren und aufzuerlegen, bis zu dem Punkt, wo er sogar über die angenommene Präsenz der Angeklagten hinausgeht. Konkret gesagt, stellen Sie sich vor, dass bei einer Demonstration jemand 50 Meter vor Ihnen ein Auto abfackelt : Sie werden als verantwortlich für die Schäden angesehen. Aber das ist nichts! Stellen Sie sich jetzt vor, Sie verlassen die Demonstration, 10 Minuten später wird ein Molotow–Cocktail geworfen: obwohl Sie nicht mehr vor Ort sind, werden Sie auch dafür verantwortlich gemacht.
Es gibt viele Probleme in diesem Verfahren, im Gefängnis, in der Polizei, im Kapitalismus, im Staat und seiner Welt.“
https://unitedwestand.blackblogs.org/prozesserklaerung-von-loic/

Die Schaffung eines solchen Präzedenzfalles hat – über den konkreten Prozess hinaus – eine weitreichende politische Bedeutung: Wenn Menschen permanent mit einer Verurteilung rechnen müssen, sobald sie an einer Demonstration teilnehmen, wird das die Bedingungen für Protest in Deutschland massiv verändern und die Demonstrationsfreiheit weiter einschränken.
Damit werden, diesmal ganz ohne Gesetzgebungsprozess, weitere Möglichkeiten geschaffen, unliebsame Aktivist*innen für nichts zu kriminalisieren. Vor dem G20-Gipfel in Hamburg wurde bereits der Tatbestand des „Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ massiv verschärft und mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis belegt. Da reicht ein bisschen Phantasie und die Absprache mit ein oder zwei Kolleg*innen aus, um Menschen willkürlich zu kriminalisieren.

Die Prozesse um die Demonstration am Rondenbarg werden die nächsten im Zusammenhang mit G20 sein, bei denen es darum gehen soll, Menschen wegen ihrer Anwesenheit – ohne individuellen Tatvorwurf – zu verurteilen. Dies betrifft auch Genoss*innen aus Göttingen. Verhandlungstermine stehen bisher noch nicht fest, möglicherweise beginnen die Prozesse aber noch in diesem Jahr.
https://nog20soligoe.blackblogs.org/2018/04/18/goe8-gegen-g20/
https://gemeinschaftlich.noblogs.org/

Aktuelle Infos zu den G20-Prozessen findet ihr unter: unitedwestand.blackblogs.org

Wir lassen uns nicht spalten in ihre Kategorien von friedlich und nicht-friedlich. Wir werden uns immer wieder das Recht nehmen für unsere Ziele mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Straße zu gehen!

Freisprüche im Elbchaussee-Prozess!
Einstellung aller weiteren G20-Verfahren!
Freiheit für alle politischen Gefangen!

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Zum bevorstehenden Ende des Elbchaussee-Prozesses

Drei Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg sollen am 10. Juli 2020 die Urteile im Elbchaussee-Prozess fallen. Nachdem über 18 Monate unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen fünf Genossen verhandelt wurde, wird der Prozess mit einer Erklärung von Loic und den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Anwält*innen ab dem 17.6. wieder öffentlich. Die Absurdität des ganzen Schauspiels wird vor dem Hintergrund deutlich, dass vier der fünf Angeklagten keine eigenhändige Straftat vorgeworfen wird. Sie sollen also exemplarisch bestraft werden: als Rache für den verpatzen Gipfel und mit der Hoffnung, andere Aktivist*innen abzuschrecken.

Wir waren 2017 in Hamburg um gemeinsam mit Genoss*innen aus der ganzen Welt ein Zeichen zu setzen gegen den Gipfel der Herrschenden. Es ging um Alternativen zur kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Politik und darum, gemeinsam solidarisch zu handeln. Bei dem Prozess um die Demo in der Elbchaussee soll genau das kriminalisiert werden. Das Urteil soll einschüchtern und es soll Menschen davon abhalten, die herrschende Politik weiterhin konsequent aus einer linken Perspektive in Frage zu stellen. Das dafür benutze Konstrukt, die Demonstration in der Elbchaussee nicht als eine solche zu werten, macht es möglich, die fünf Genossen für die reine Anwesenheit im Umfeld der Demo zu bestrafen (siehe Hintergrund „Die Demo, die keine sein darf“).

Das Urteil hat allerdings noch weitreichendere Bedeutung:
Es wird einen Präzedenzfall für alle noch kommenden G20-Prozesse schaffen, aber auch weit darüber hinaus. Wenn Menschen permanent mit einer Verurteilung rechnen müssen, sobald sie an einer Demonstration teilnehmen, wird das die Bedingungen für Protest in Deutschland grundlegend verändern.

Der Rondenbarg-Komplex

Der Elbchausseeprozess ist nicht der einzige Prozess nach dem Gipfel in Hamburg, bei dem das Konstrukt der „psychischen Beihilfe“ auf Demonstrationen angewendet werden soll und Menschen fürs „dabei gewesen sein“ vor Gericht gezerrt werden. Auch bei den Prozessen um die Demonstration am Rondenbarg wird es genau darum gehen. Der Demonstrationszug während des Gipfels wurde von der Polizei massiv angegriffen. Viele Demonstrant*innen wurden schwer verletzt und über 60 Menschen im Anschluss festgenommen. Um diesen gewalttätigen Polizeieinsatz im Nachhinein zu rechtfertigen, sollen nach fast drei Jahren voraussichtlich über 100 Personen vor Gericht gestellt werden – einige davon aus Göttingen.

Schon 2017/18 wurde in diesem Zusammenhang gegen Fabio aus Italien u.a. wegen schweren Landfriedensbruchs verhandelt, obwohl auch ihm keine individuellen Straftaten vorgeworfen werden. Grundlage war hier ebenfalls die Behauptung, es habe sich am Rondenbarg nicht um eine politische Demonstration gehandelt, sondern um eine Gruppe, die sich „zu Gewalt verabredet“ habe. Damit würde auch hier die bloße Anwesenheit für eine Verurteilung ausreichen. Der Prozess scheiterte Anfang 2018 aus formalen Gründen.

Die kommenden Rondenbarg-Prozesse sollen in Gruppen von bis zu 19 Angeklagten verhandelt werden. Erste Anklageschriften wurden Ende 2019 verschickt, konkrete Verhandlungstermine sind aber noch nicht angesetzt. Die Vorwürfe umfassen unter anderem gemeinschaftlichen schweren Landfriedensbruch, tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte, versuchte schwere Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung bewaffneter Banden – wie gesagt unabhängig von individuellen Tatvorwürfen. Im Raum steht die Androhung mehrjähriger Haftstrafen. Damit wird gezielt ein massives Angstszenario gegen möglichst viele Menschen aufgebaut, um sie einzuschüchtern und andere Menschen von der Teilnahme an zukünftigen Protesten abzuschrecken.

Selbst wenn es bei den Anklagen nicht zu einer Verurteilung kommt, stellt der Prozessablauf schon eine Form von Schikane und Bestrafung von linkem politischen Engagement dar. Es ist – vor allem bei dem ersten der geplanten Gruppenprozesse – von einer Prozessdauer von mindestens einem Jahr bei wöchentlichen Prozessterminen auszugehen. Die ständigen Fahrten zu den Gerichtsterminen nach Hamburg machen es unmöglich, den Schulabschluss, das Studium, die Ausbildung oder das Lohnarbeitsverhältnis wie geplant fortzuführen. Damit werden nicht nur bewusst die Perspektiven der Betroffenen zerstört, sondern offensichtlich hofft das Gericht damit schon vor Prozessbeginn die Angst der Betroffenen zu schüren und eine Entsolidarisierung und Spaltung der Angeklagten zu erreichen.

Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass mindestens einer der Gruppenprozesse nach Jugendstrafrecht verhandelt wird. Auch dieser Prozess soll in Hamburg stattfinden und nicht, wie bei Jugendstrafrecht üblich, am jeweiligen Wohnort. Außerdem kommt für die jungen Angeklagten hinzu, dass der Prozess (wie bei der Elbchaussee) eventuell unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Dies bedeutet nicht nur, dass eine solidarische Begleitung der Angeklagten im Gerichtssaal unterbunden wird, sondern auch, dass hier gegebenenfalls Fakten geschaffen werden können, ohne dass die Öffentlichkeit einen Einblick darin hat.

Schon der Elbchaussee-Prozess hat gezeigt, wie wichtig eine kritische Beobachtung ist, wenn hinter verschlossenen Türen durch die Schaffung eines Präzedenzfalles massive Einschränkungen von Freiheitsrechten vorgenommen werden. Deshalb werden wir auch die kommenden Prozesse genau beobachten und solidarisch begleiten, ohne dass wir uns dabei in ihre Kategorien von friedlich und nicht-friedlich spalten lassen!

Wir werden uns immer wieder das Recht nehmen, für unsere Ziele mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Straße zu gehen!

Freiheit für alle politischen Gefangen!
Freisprüche im Elbchaussee-Prozess!
Einstellung aller weiteren G20-Verfahren!

 

Hintergrund: Die Demonstration, die keine sein darf

Wenn wir uns jetzt mit der Argumentation von Staatsanwaltschaft und Gericht beschäftigen, dann nicht, weil wir den staatlichen Normen von legal und illegal eine tiefere Bedeutung beimessen oder die Notwendigkeit politischer Proteste daran ausrichten wollen. Vielmehr tritt auch in den juristischen Konstruktionen die politische Dimension des Elbchaussee-Prozesses deutlich zutage.

Vier der fünf Angeklagten im Elbchaussee-Prozess werden keine individuellen Straftaten vorgeworfen. Um ihnen trotzdem in Form einer Kollektivschuld für die Demo in der Elbchaussee eins rein zu würgen, bezieht sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Mai 2017. Hier wurde eine verabredete Schlägerei zwischen Fans zweier Fußballmannschaften verhandelt. Das Gericht wertete in diesem Fall das „ostentative Mitmarschieren“, also ein bewusst herausforderndes Mitlaufen in einer Gruppe, als psychische Beihilfe für die gewalttätigen Hooligans und bejahte eine Strafbarkeit. Allerdings wird in der Urteilsbegründung explizit betont, dass die verhandelte Situation nicht mit der politischen Motivation bei einer Demonstration zu vergleichen und das Urteil dementsprechend nicht übertragbar ist.

Die Staatsanwaltschaft kann sich jetzt also nur auf dieses Urteil beziehen, wenn die Demonstration in der Elbchaussee nicht als solche gewertet wird. In einem Rechtsgespräch am 6.11.19 deutet das Gericht bereits an, auch dieser Argumentation der Staatsanwaltschaft folgen zu wollen.

Damit wird ein weiteres Mal versucht, den Protesten um den G20-Gipfel ihren politischen Charakter abzusprechen. Wir waren in Hamburg aus Gründen – und würden es wieder tun! Wir wehren uns gegen den Versuch, über eine Entpolitisierung eine kollektive Haftung für Demonstrationen zu konstruieren und die unterschiedlichen Protestformen in „gut“ und „böse“ zu spalten. Dem Versuch, über die drakonische Bestrafung einzelner eine ganze Bewegung einzuschüchtern, setzen wir unsere Solidarität entgegen. Unsere Solidarität gilt allen Beteiligten und von Repression Betroffenen, egal was sie nach den Anschuldigungen vor Gericht gemacht haben sollen. Solidarität ist unteilbar!

 

Dass das zu erwartende Urteil die Bedingungen, unter denen in Deutschland protestiert werden kann, weiter verschlechtert, ist sicher kein Zufall. Es muss in einer Reihe mit zahlreichen Verschärfungen der letzten Jahre gesehen werden.

Zum Beispiel hat sich die Bundespolizei im Oktober 2019 klammheimlich und versteckt in einer Gebührenordnung weitere Instrumentarien „gebastelt“ Menschen zu drangsalieren, die ihnen nicht in den Kram passen. Ab sofort können polizeiliche Willkürmaßnahmen der Bundespolizei den Betroffenen auch noch in Rechnung gestellt werden. So schlagen Personalienfeststellung oder Platzverweis am Rande einer Demonstration schnell mit dreistelligen Summen zu Buche und halten, so vermutlich die Hoffnung der „Freunde & Helfer“, von einem Demobesuch ab.

Zahlreiche Länder haben die Überarbeitung ihrer Polizeigesetze für eine Verschärfung und die Einschränkung von Bürger*innenrechten genutzt. In leicht unterschiedlichen Nuancen wird die Polizei mit deutlich mehr Befugnissen ausgestattet und zum Beispiel der Einsatz von Überwachnungsmaßnahmen oder die elektronische Gesichtserkennung sehr pauschal erlaubt. Durch eine Verlagerung des Aufgabenbereichs von der Aufklärung zur Verhinderung von Straftaten wird der polizeilichen Willkür die Tür noch weiter aufgehalten, ist es ihr doch in Zukunft schon bei sehr schwammig formulierten Verdachtsmomenten erlaubt, aktiv zu werden. Und wen die Polizei im Zweifel „verdächtig“ findet, wissen wir nicht erst seit dem Bekanntwerden von rechtsextremen Strukturen im Polizeiapparat.

Schon im Mai 2017, also noch rechtzeitig vor dem Gipfel in Hamburg wurde die Strafe für den Tatbestand des „Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ massiv verschärft und mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Gefängnis belegt. Wie der sogenannte „Widerstand“ war dieser Vorwurf schon vor der Verschärfung unter Polizist*innen sehr beliebt. So reicht doch in der Regel ein bisschen Phantasie und die Absprache mit ein oder zwei Kolleg*innen aus, um alle, die sich prügelnden Polizist*innen auf einer Demo nicht ehrfurchtsvoll vor die Füße werfen, vor Gericht zu zerren. In der Folge sahen sich zahlreiche Menschen, nicht nur bei G20-Prozessen, mit Vorstrafe und Knastandrohung konfrontiert.

Und nicht zuletzt ist der bundesweite #leaveNoOnebehind-Aktionstag Anfang April 2020 ein gutes Beispiel für die „eigenwillige“ Auslegung von Vorschriften durch die Polizei. In zahlreichen Städten wurde unter Beachtung der Corona-Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen gegen die Zustände an den europäischen Außengrenzen protestiert. Bundesweit relativ einheitlich (z.B. in Göttingen, Berlin, Frankfurt oder Lüneburg) wurden die Aktionen von der Polizei angegriffen. Aktivist*innen wurden zur Personalienfeststellung von mehreren Polizist*innen eng umlagert oder sogar mit vollem Körpereinsatz zu Boden gebracht. Dabei trugen die Beamt*innen durchgehend keinen Mund-Nasenschutz und respektierten weder gegenüber den Aktivist*innen noch untereinander irgendwelche Abstandsregeln. Enge entstand also erst durch die Polizeieinsätze. Ganz offensichtlich ging es also nicht, wie behauptet um Infektionsschutzmaßnahmen, sondern nur um einen Vorwand unliebsamen Protest von der Straße zu prügeln.

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