Göttinger NoG20-Soli-Newsletter #4

365 days later… wieder nach Hamburg fahren, zum Festival der grenzenlosen Solidarität!

 

Neben der Einladung nach Hamburg geht’s im 4. Newsletter um erfolgreiche Klagen gegen rechtswidrige Ingewahrsamnahmen während NoG20, die europaweiten Razzien der Soko Schwarzer Block, Agents provocateurs bei der Welcome to hell-Demo, das Gerichtsverfahren gegen eine Genossin in Göttingen wegen Beleidigung und last, but not least, um den aktuellen Stand der Prozesse in Hamburg.

 

„Das Einzige, was an diesem ganzen Prozedere rechtmäßig war, war die Freilassung“

Während bisher zahllose Ermittlungen gegen Cops wegen Körperverletzung im Amt u.ä. eingestellt wurden und noch kein einziges Verfahren gegen Polizist*innen vor Gericht gelandet ist, steigt nun die Zahl der erfolgreichen Klagen gegen einzelne Polizeieinsätze und Ingewahrsamnahmen während NoG20. Das ist zwar schön, weil es zu erfolgreichen Schadensersatzansprüchen der Betroffenen führen kann. Aber ändern tut sich dadurch nichts, denn genau so läuft es bei solchen Großevents der Polizeigewalt. Erstmal einfach machen, ein Jahr später wird dann abstrakt für einen Teil der Polizeieingriffe die Rechtswidrigkeit erklärt, aber für die verantwortlichen Beamt*innen hat das keinerlei Folgen. Also kein Grund, irgendetwas ändern.

Rechtswidrige Ingewahrsamnahmen bei der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20!“
Pressemitteilung, dka Kanzlei
Zur Jagd auf Italiener geblasen, taz
G20: Ingewahrsamnahme rechtswidrig, NDR

Rechtswidrige Zustände in der Gesa: Viele mussten sich bei Durchsuchungen komplett ausziehen und durften nur unter Aufsicht auf die Toilette. Außerdem erfolgten viele richterliche Beschlüsse zu spät, was die Ingewahrsamnahme bis dahin rechtswidrig macht.
Ingewahrsamnahmen bei G20 teilweise unzulässig, nd
Polizeiangriff auf Persönlichkeitsrechte, Zusamenfassung von der taz
Das sagt übrigens die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter zur Gesa und das zum Teil bereits vor dem Gipfel.

Im September 2017 hatte ein Gericht bereits die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes gegen einen Bus der Jugendgruppe Die Falken und damit verbundenen Ingewahrsamnahmen festgestellt. Da hatten sich die Cops und die Stadt Hamburg mit einer Entschuldigung und dem Hinweis auf eine „Verwechselung“ rausgeredet.

 

Europaweite Razzien

Etwa sechs Monate nach der ersten Durchsuchungswelle post G20 wurden am 29.05. zeitgleich Privaträume und politische Zentren in Spanien, Frankreich, Italien sowie der Schweiz gestürmt. Über 100 Polizeibeamt*innen gingen im Auftrag der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Aktivist*innen und politische Strukturen vor. Die Ermittlungsbehörden rechtfertigen diesen Angriff mit Verdachtsvorwürfen rund um die Riots in der Elbchaussee bzw. der Schanze. Unterstützung vor Ort bekamen die deutschen Behörden von Spezialeinheiten der jeweiligen Länder. Gleichfalls hilft die europäische  Strafverfolgungsbehörde Eurojust, die Kriminalisierung von G20 Protestierenden EU-weit zu legitimieren. In Spanien richteten sich die Durchsuchungen gegen sieben Menschen. Dafür brach die Polizei in zwei besetzte Häuser und eine Wohnung ein. In Frankreich konnte die per europäischen Haftbefehl gesuchte Person nicht ausfindig gemacht werden. In Genua und Rom sind ebenfalls mehrere Einzelpersonen bzw. linke Zentren betroffen. Im schweizerischen Bremgarten durchsuchten Polizist*innen ein Kulturzentrum plus eine Privatwohnung. Bisher stehen uns nur wenige Informationen zur aktuellen Situation der betroffenen Einzelpersonen zur Verfügung. Was aus Berichten, gerade über deutschsprachige Medien deutlich wird, ist, dass G20 Protestierende weiterhin mit allen Mitteln staatlicher Gewalt verfolgt werden. Dazu wurden neben den vollstreckten Durchsuchungsbefehlen und mehreren kurzzeitigen Festnahmen diverse Speicher- bzw. Kommunikationsmedien aus den Räumen entwendet. In Bremgarten wurden allen anwesenden Personen Handschellen und Augenbinden angelegt. Daneben konstruierte die Polizei weitere Straftatbestände, so dass insgesamt vier Menschen zumindest vorübergehend festgenommen wurden. Über das weitere Geschehen halten wir euch auf dem Laufenden.
Razzien in vier europäischen Ländern, Tagesschau
Polizei startet konzentrierte Razzien in vier Ländern, Spiegel onlineBullenstress und Verhaftungen im Raum Winterthur, barrikade.info

Weiter ging es mit der Repressionswelle zwei Tage später in Hamburg. Am 31.05. fand erneut eine Hausdurchsuchung statt. Die betroffene Person war nicht anwesend, sie wurde allerdings wenig später in Bremen verhaftet und schnurstraks einem Hamburger Haftrichter vorgeführt. Die angestrebte U-Haft konnte aber nicht durchgesetzt werden.
„Soko Schwarzer Block“ auf Reisen, united we stand
Auch davor fanden am 09.05. Hausdurchsuchungen in Berlin statt.
Razzien wegen G20-Plakat in Berlin, nd

Neben Öffentlichkeitsfahndung, konstruierten Haftbefehlen und Hausdurchsuchungen sind gerade auch Personen von DNA Zwangsentnahmen betroffen. Die Aktivist*innen gehen auf verschiedenen Ebenen dagegen vor, der Ausgang ist noch ungewiss.
Neues vom Winterdienst – Von DNA-Abgaben, Streugutkisten und anderen Konstrukten, barrikade.info

Wir möchten allen Betroffen unsere Solidarität aussprechen und viel Kraft für die weiteren Kämpfe senden. United we stand!

 

Vermummte Cops bei Welcome to hell-Demonstration

‚Agents provocateurs‘ sind nichts Neues, schon gar nicht bei solchen Gipfelgeschehen, es dauert allerdings meist eine Weile, bis zumindest ein Teil der Fälle an die Öffentlichkeit kommt. So nun geschehen, weil sich ein Cop vor Gericht verplappert hat. In einem NoG20-Prozess hat er als Zeuge ausgesagt. Dabei kam raus, dass er und drei seiner Kolleg*innen bei Welcome to hell als ‚Tatbeobachter*innen‘ innerhalb der Demo eingesetzt waren und sich dabei vermummt haben. Wir erinnern uns: Die Demo wurde vorgeblich wegen Vermummung brutal angegriffen.
Undercover im schwarzen Block, taz
Und was macht die Staatsanwaltschaft Hamburg? Genau, nichts!
Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen verdeckte Ermittler bei G20, shz
Polizisten dürfen sich vermummen, taz
Unsere Empfehlung: Sagt das nächste mal auch einfach, dass ihr aus anderen Gründen anwesend seid, wenn sie euch wegen eines Schals drankriegen wollen!

Aus juristischer Sicht gibt es viel Kritik am Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft:
„Keine gute Lösung“, Interview mit einem Kriminologen in der ZEIT
Rechtliches zur Polizei in Zivil
Warum verdeckte Polizisten bei G20 Straftaten begangen haben könnten, vice
„Es wurden rechtliche Grenzen überschritten“, jungeWelt

Auf eine Anfrage der Linken an den Hamburger Senat gab es keine Antworten.
Der Senat mauert, taz
Da die betreffenden Cops aus Sachsen kommen, hat auch hier die Linke einen Antrag bzgl. der Aufklärung dieses Einsatzes gestellt, der von SPD, CDU und AfD abgeschmettert wurde.

Inzwischen gibt es ein offizielles Gutachten zu dem Sachverhalt, das zu dem Schluss kommt, dass zivile Polizist*innen zwar nicht unter das Versammlungsgesetz und damit auch nicht unter das Vermummungsverbot fallen, aber: „Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung einer Vermummung von Polizisten darf der Staat jedoch in keinem Fall unmittelbar durch seine Beamten oder mittelbar durch sie als agents provocateurs einen Grund für die Auflösung einer Versammlung schaffen.“ Außerdem müssen sich insbesondere Beamt*innen in Zivil der Versammlungsleitung zu erkennen geben.
Straffrei vermummt – aber nicht folgenlos, LTO
Hier gibt’s auch noch einen Kommentar zu dem Gutachten zum Anhören.

Der Einsatz von Tatbeobachter*innen als Teil der BFE ist grundsätzlich rechtlich umstritten. In der Broschüre der Grünen Jugend Göttingen ist die Kritik nochmal gut zusammengefasst.

Übrigens: Während Polizist*innen in Zivil nicht als Versammlungsteilnehmer gelten, tun Demo-Sanitäter*innen das scheinbar sehr wohl. Dies führt dann zu Verurteilungen von Demo-Sanis wegen Vermummung und passiver Bewaffnung. Perfider geht’s ja wohl nicht!

 

Prozess wegen angeblicher Beleidigung in Göttingen

Nachdem wir im ersten Newsletter über die Razzien in Göttingen und den folgenden brutalen Einsatz der Polizei bei der Demo gegen Kriminalisierung von G20 Protesten am 9.12.2017 berichtet haben, kam es nun zu einem Gerichtsverfahren gegen eine Göttinger Aktivistin. Das Verfahren wegen Beleidigung eines Polizeibeamten wurde gegen Auflage eingestellt. Hintergrund bildete der äußerst gewalttätige polizeiliche Eingriff in die Demo am 9.12., in dessen weiteren Verlauf ihr Sohn verletzt in Gewahrsam genommen wurde. Zuvor befand sich die G20-Gegnerin schon während des Gipfels mehrere Tage in Polizeigewahrsam. Am 5.12. stürmte die Polizei ihre Wohnung und beschlagnahmte alle Speicher- und Kommunikationsmedien in der Familienwohnung.

Geldstrafe für vermeintliche Polizistenbeleidigung, ndGericht stellt Verfahren gegen Geldauflage ein, GT

 

Prozesse in Hamburg:

Wir können in unserem Format nur über einen Bruchteil der Prozessabfertigungsmaschinerie berichten, deshalb noch einmal der Verweis an dieser Stelle auf die ausführlichen Prozessbeobachtungsprotokolle auf united we stand.

Nun ein kurzer Abriss zu einzelnen Prozessen:

Peike

Momentan läuft Peikes Berufungsverfahren. Er war der erste NoG20-Aktivist, der verurteilt wurde. Das Urteil ließ keinen Zweifel an dem Bestrafungswillen von Politik und Justiz. Peike wurde zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Mittlerweile ist klar, dass die einzigen Aussagen, auf denen die Verurteilung gestützt ist, zum Zweck der Verurteilung von der Polizei manipuliert worden sind. Ungeachtet dessen ist die Richterin im aktuellen Berufungsverfahren nicht gewillt, entlastende Informationen zuzulassen. Die Verhandlungstermine sind bis Mitte Juli angesetzt.
Ungebrochener Verurteilungswille der Hamburger Justiz, G20ApUA

Konstantin

Das Verfahren gegen Konstantin wurde mit einer Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte beendet. Die drei weiteren Anklagepunkte mussten fallen gelassen werden. Im speziellen ist K. zu einigen Tagessätzen Geldstrafe sowie Prozesskostenübernahme verurteilt worden. Gleichfalls wurde ihm Haftentschädigung zugesprochen, die für die unangemessene Dauer seiner Haft (über vier Monate!) erhalten soll. Zu der rechtswidrigen Ausweisung und dem fünfjährigen Einreiseverbot steht die juristische Klärung noch aus.
Wacklige Anklage, taz
Statement zum letzten Verhandlungstag gegen Konstantin am 8.5.2018, united we stand

Fabio

Der medial aufsehenerregendste Prozess gegen Fabio ist vorerst geplatzt, da die zuständige Richterin den Prozess nicht zu Ende führen kann. Die wohl wichtigste Frage ist nun, ob der Prozess neu eröffnet wird oder ob es für Polizei und Justiz strategisch sinnvoller ist, die Prozesse gegen weitere Kriminalisierte, die am Rondenbarg brutal festgehalten wurden, zu beginnen.
»Das Gericht könnte das Verfahren einstellen«, jW

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