Ein Jahr danach… Göttinger NoG20-Soli-Newsletter #5

Erinnern heißt Kämpfen!

Am 20. Juli 2001 wurde Carlo Giuliani in Genua von Cops ermordet. Diese Kurzdoku gibt einen kleinen Überblick über die Geschichte von Gipfelprotesten und die damit zusammenhängende Repression. Es wird noch einmal deutlich, dass Vieles, was letztes Jahr in Hamburg an Repression gelaufen ist, überhaupt nicht neu ist.  Unter dem Video sind auch noch einige weitere spannende Dokus verlinkt.

 

Nun ist es bereits über ein Jahr her, dass wir gemeinsam in Hamburg waren. Auch wir nehmen das zum Anlass, um ein wenig zurückzuschauen. Neben der erneuten Welle von Hausdurchsuchungen soll es in diesem Newsletter um den G20-Sonderausschuss in Hamburg gehen. Außerdem fragen wir uns, was wurde eigentlich aus… Hartmut Dudde, Olaf Scholz und den vielen Fällen von eindeutig dokumentierter Polizeigewalt? Zum Abschluss haben wir euch eine kleine Sammlung von Gesamtbetrachtungen und Auswertungen des Gipfelgeschehens letzten Sommer zusammengestellt.

Wir freuen uns sehr für Peike, dass er vorerst zu seinen Freund*innen und seiner Familie zurückkehren kann! Am 12.7. stimmten Staatsanwaltschaft und Richterin endlich der Haftverschonung zu, sein Berufungsverfahren läuft weiter. Free Peike!

Und nicht vergessen: Kommt am Freitag, 27.7. zu unserer Knast-Soli-Veranstaltung um 18h ins JuZI-Café!

 

Festival der grenzenlosen Solidarität

Ein Jahr nach dem Gipfel gab es in Hamburg verschiedenste Demos, Veranstaltungen und Aktionen – teilweise im Rahmen des Festivals der grenzenlosen Solidarität, teilweise darüber hinaus.
Für grenzenlose Solidarität, jW
Tanz-Demo erinnert in Hamburg an G20, NDR
G20-Gegner grüßen, taz

 

Hausdurchsuchungen am laufenden Band

Das gewaltsame Eindringen der Polizei in linke (Privat-) Räume geht weiter. Am 27.06.2018 wurden erneut 13 Wohnungen/Häuser bundesländerübergreifend durchsucht. Dabei wurden 5 Haftbefehle im Zusammenhang mit den Aktionen im Schanzenviertel und Altona vollstreckt. Zwei der Festgenommenen wurden kurz danach vorerst aus der Haft entlassen. Einen Tag später ging es in Göttingen in zwei Wohnhäusern weiter. Hier wird einem der Betroffenen unterstellt, am 07. Juli 2017 eine gefährliche Körperverletzung gegen einen Polizeibeamten begangen zu haben, der im Zuge der Ereignisse einen Schuss mit seiner Dienstwaffe abgab. Als tatverdächtig identifiziert wurde die betroffene Person durch Polizeibeamte der Göttinger Dienststelle anhand der Bilder bzw. Videos der Öffentlichkeitsfahndung. Nun stellte sich heraus, dass sich eben diese Person gerade zu jener Zeit im weit entfernten Japan aufhielt. Hier zeigt sich das politisch motivierte Vorgehen staatlicher Behörden bei der Verfolgung linkspolitisch Aktiver in aller Deutlichkeit.

Eine Anwort auf diesen Angriff gab es am 7. Juli mit einer lautstarken Demo gegen die Kriminalisierung linker Aktivist*innen und Polizeiwillkür.

Hier noch eine Einschätzung von Teilen des United We Stand-Bündnisses zu der absurden Konstruktion von Repressionsgründen im Zusammenhang mit NoG20.

 

Beförderungen ohne Ende

Wer jetzt glaubt, nach diesem Desaster vor einem Jahr in Hamburg hätten Köpfe rollen müssen, sieht sich schwer enttäuscht. Denn ganz im Gegenteil regnete es Beförderungen.
Olaf –„Polizeigewalt hat es nicht gegeben“-Scholz, regierender Hamburger Bürgermeister während des G20-Gipfels, wurde anschließend zum  Finanzminister und Vizekanzler ernannt. Der „Neue“ fährt übrigens voll auf Scholz-Linie und bescheinigt der Polizei, während des Gipfels „einen guten Job“ gemacht zu haben.
Und polizeilicher Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde erhielt im Anschluss an seinen G20-Einsatz einen noch größeren Wirkungskreis als Leiter der neu strukturierten „Schutzpolizei“ in Hamburg.
Hier geht’s zu einer Petition für die Entlassung Hartmut Duddes!

 

Verfolgung von Polizeigewalt?

Die massive Polizeigewalt während des G20-Gipfels ist vielfach belegt, siehe g20-doku.org. Allerdings sind von rund 150 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzug im Amt bereits über 50 eingestellt worden. Zu Gerichtsverfahren ist es in keinem Fall gekommen. Da das kein Zufall ist, wird sich daran vermutlich auch nichts ändern. Hier einige kritische Auseinandersetzungen damit:
Kommentar von Christiane Schneider
Einseitige Ermittlungen, jungle.world
„Kein gezielter Wurf“, taz
Verblendete Kollegen, Spiegel online

 

Der unsägliche Sonderausschuss

Bereits der Name des Ausschusses „Gewalttätige Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg“ macht von vornherein zweifelsfrei klar, was hiervon nicht zu erwarten ist: eine Aufklärung der politischen Fehlentscheidungen und der massiven Polizeigewalt während des G20-Gipfels in Hamburg. Einzelne Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft haben sich nach Kräften um Erkenntnisse bemüht, allen voran Christiane Schneider von der Linken. Aber hier waren den Ausschussmitgliedern ganz klare Grenzen gesetzt. Denn ein Sonderausschuss hat null Befugnisse. Bei einem parlamentarischen Untersuchungssauschuss besteht immerhin eine Aussagepflicht, ähnlich wie für Zeugen beim Gericht. Das führte beispielsweise dazu, dass Polizeivideos nicht zur Verfügung gestellt wurden und sich Polizeien und Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes jeweils nur die Zuständigkeiten zugeschoben haben oder einfach gar nicht zu den Sitzungen aufgetaucht sind.
Worüber wurde nun aber beim Sonderausschuss gesprochen? Im Folgenden wollen wir ein paar Schlaglichter auf die bisherigen Sitzungen werfen.

Es ging zum Beispiel um welcome to hell. Falls ihr das nicht wusstet, die Polizei wollte nur die restliche Demo vor dem schwarzen Block beschützen.
Polizei: „Versammlungsfreundlich“ bei G20, ndr
„Das Gesamtklima war früh belastet“, taz
„Eine beachtliche Kaltschnäuzigkeit“, taz
Wer das genauer nachlesen möchte, hier das Wortprotokoll der Ausschusssitzung am 5.4.2018.

Das Massencornern vor den Gipfeltagen ist übrigens nur aus Versehen mit Wasserwerfern angegangen worden…
Spaceballs in Danger Zone, Kommentar aus der Flora

Was haben wir noch gelernt? Ach ja, die Elbchaussee war Terrorismus!

Ende Mai gab es eine öffentliche Ausschusssitzung, Grote und Co kamen da aber gar nicht gut bei weg.
Sollen sie doch Kuchen essen, Kampagne Flora bleibt unverträglich
Beitrag zum Anhören vom Freien Senderkombinat Hamburg
Hier das Wortprotokoll der öffentlichen Ausschusssitzung.

Mit die aufsehenerregendste Erkenntnis des Ausschusses ist auch durch Frau Schneider öffentlich geworden: Vermummte Cops bei der Welcome to hell-Demo, die ja wegen der Vermummung auseinandergeprügelt wurde. Mehr Infos dazu gibt’s auch in unserem  Newsletter #4.

Hier eine kleine Auswertung des Ausschusses aus der Presse:
Jeder für sich, nd
Worum ging’s nochmal?, derFreitag
Wer sich für ein bisschen resümierendes Geplänkel von beteiligten Abgeordneten interessiert: Was hat die Aufarbeitung gebracht?, ZEIT
Vorläufige Bilanz des #NoG20 Sonderausschuss, FSK

Kleine Anekdote am Rande: Dass sich die Hamburger CDU auf die Rote Flora als Ursache allen vermeintlichen Übels eingeschossen hat, ist ja nichts Neues. So steht die sofortige Räumung jetzt auch wieder im Wahlprogramm für 2020. Aber wenn sie sich dabei genauso dilettantisch anstellen, wie bei der Ladung von zwei Flora-Aktivist*innen zum Sonderausschuss, brauchen wir uns wohl keine Sorgen machen!

 

Ein Blick zurück…

Anlässlich des „Jahrestages“ Anfang Juli gab es unzählige Resümees und Rückblicke. Manche besser, manche schlechter. Auf jeden Fall viel zu viele, um sie alle zu verlinken. Deswegen werden wir uns hier auf eine kleine, mehr oder weniger zufällige, Auswahl von Artikeln sowie Broschüren, Büchern und Radiobeiträgen beschränken. Wir haben nicht alles davon selbst gelesen und gehört, möchten euch aber trotzdem gerne darauf hinweisen.

Sehr gerne hätten wir euch an dieser Stelle auch Filme und Dokus verlinkt. Allerdings ist es auch jetzt, ein Jahr danach, noch so, dass bei fast keiner der im Internet kursierenden Videos und Dokumentationen die Gesichter der Beteiligten unkenntlich gemacht wurden. Bei solchen von enormer Repression begleiteten Großprotesten ist das Anfertigen von Videomaterial und dessen Verbreitung mit einer großen Verantwortung verbunden. Die Repressionswelle ist in vollem Gange und Menschen werden bspw. für das Ausziehen eines Pullis in der Nähe von irgendwas in U-Haft gesteckt. Wir möchten die Verbreitung von solchem unverpixelten, für die Repressionsbehörden durchaus interessanten Videomaterial nicht unterstützen.
Obwohl auch die Doku „Hamburger Gitter – Der G20-Gipfel als Schaufenster moderner Polizeiarbeit“ zumindest teilweise unverpixelt ist, möchen wir auf den Film hinweisen, da er inhaltlich sehr gut ist. Anfang September wird er im Lumiere gezeigt. Für den 6. September hat das Lumiere die Filmemacher*innen zu einem Gespräch im Anschluss der Vorführung eingeladen.
Hier geht’s zum Trailer.
Wendepunkt Schanzenviertel, taz
Die ganze Geschichte von G20 erzählen, nd

Kürzeres zum Lesen:
Mehr als Gewalt, nd
Hamburger Rückblicke auf die G20-Proteste, ak
Wieder die autoritäre Formierung von Staat und Gesellschaft, PRP
Neue Standards der Repression, nd
Grüße aus Rojava, Internationalist Commune
Mapping #NoG20. Interview with Peter Ullrich and Donatella Della Porta one year after the counter-summit in Hamburg.
Die taz hat übrigens unsere Idee eines G20-Quiz aufgegriffen ;)!

Längeres zum Lesen:
Der Repression nach dem G20-Gipfel entgegentreten!
dissenz – noG20 (liegt übrigens auch hier im roten Buchladen aus)
G20 in Hamburg, s u b \u r b a n. zeitschrift für kritische stadtforschung
NO G20 Doku, Broschüre kann über folgende e-mail-Adresse bezogen werden: broschuerengruppe@posteo.de
RIOT – Was war da los in Hamburg?, LaikaVerlag
G20. Verkehrsprobleme in einer Geisterstadt, Komitee 17
Und ein Kommentar zu den beiden Büchern

Zum Hören:
G20 Auswertung, Radio InfoLoraFr
#noG20 Die Ruinen von Hamburg – Eine vorläufige Bilanz, Mitschnitt einer Veranstaltung vom 27. Juni im Hamburger Polittbüro
Hamburg ein Jahr nach dem G20-Gipfel, DLF

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