Göttinger NoG20-Soli-Newsletter #9

Zwei Jahre ist der Gipfel in Hamburg nun her und die Repression reißt immer noch nicht ab. Der Widerhall in der Öffentlichkeit ist nicht mehr so groß. Dennoch finden weiterhin regelmäßig Razzien, Öffentlichkeitsfahndungen und andere Schweinereien mit G20-Bezug statt. Erst diese Woche startete die sechste Öffentlichkeitsfahndung. Die Prozesse sind ebenfalls in vollem Gange.

Dies zeigt, dass praktische Solidarität nach wie vor dringend notwendig ist! Im Rahmen von bundesweiten Aktionstagen machen wir am Freitag, den 5.7. ein aktionistisches Sommerfest rund ums JuZI. Unterschiedliche Gruppen laden euch zu Sprayworkshop, Infoständen, Grillen und Waffeln, Wurf-Action, Rhythms of Resistance-Workshop, Chor-Auftritt, Soli-Foto, Konzert und noch einigem mehr ein! Hier gibt’s das Programm.

Wir haben euch den aktuellen Stand bei den laufenden G20-Prozessen zusammengetragen, mit Schwerpunkt auf dem Elbchaussee-Prozess. Außerdem werfen wir einen kurzen Blick nach Osaka, wo am Wochenende der diesjährige G20-Gipfel stattgefunden hat. Der nächste Gipfel wird das Treffen der G7-Staaten in Biarritz (Baskenland) sein. Auch dort wird Widerstand organisiert (Aufruf auf deutsch)!

 

Elbchaussee-Prozess:

Zur Erinnerung: Im Dezember 2018 begann der Prozess gegen fünf Menschen, denen die Anwesenheit an der Elbchaussee am Morgen des 7. Juli 2017 vorgeworfen wird. Sie sollen für alle dort entstandenen Sachschäden zur Verantwortung gezogen werden. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll die bloße Anwesenheit und die dadurch geleistete „emotionale Unterstützung“ für eine Verurteilung mit einem angestrebten Strafmaß von bis zu zehn Jahren Haft reichen. Sollte diese Strategie Erfolg haben, wäre es dem Staat jederzeit möglich, für noch so kleine Vorfälle eine gesamte Demonstration zu verfolgen und zu kriminalisieren. Es geht beim aktuellen Prozess in Hamburg also nicht nur um mögliche Haftstrafen für unsere Genossen, sondern auch um die grundsätzliche Verschärfung der Bedingungen unter denen wir auf die Straße gehen.

Hier eine Zusammenfassung zum Prozessbeginn. Und einige allgemeine Einordnungen des Prozesses:
Liberal war einmal, derFreitag
Angriff auf den Brokdorf-Beschluss, nd
Einordnung des Elbchaussee-Prozesses vom FSK
Der sogenannte Elbchaussee Prozeß, freie-radios.net
Sie waren eben dabei, SZ
Sowie ein Video zum Prozessauftakt vom Medienkollektiv Frankfurt.

Einer der Kriminalisierten – Loïc aus Frankreich – sitzt seit seiner Auslieferung nach Deutschland im Sommer 2018 in Untersuchungshaft. Ein erneuter Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls bzw. auf Haftverschonung wurde Ende Juni abgelehnt. Trotz WG-Zimmer in Hamburg, Angebot einer Kautionszahlung und Meldeauflagen bestehe ein starker Fluchtanreiz, da er Teil einer internationalen Vernetzung der radikalen Linken sei.

Can und Halil aus Frankfurt am Main saßen ebenfalls über ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Sie wurden Mitte Februar entlassen. Zum einen ließ sich die angebliche Fluchtgefahr nicht mehr belegen. Zum Anderen ging der Freilassung eine Einlassung der vier Angeklagten aus Frankfurt/Offenbach voraus. Hier ein Statement von United we Stand FFM/OF dazu.

Der Prozess läuft für die Staatsanwaltschaft allerdings nicht wie gewünscht. Durch den Ausschluss der Öffentlichkeit Anfang Januar konzentrierten sich die Medienberichte zum Prozessverlauf auf zwei öffentlich gewordene Ereignisse:

Ende April wurde immer offensichtlicher, dass die Polizeiakten und -beweise vor allem aus „Arbeitshypothesen“ und „suggestiven Bearbeitungen“ bestehen. So dass die Richterin entschied, die Zeug*innen selbst zu vernehmen und sich nicht mehr auf die polizeilichen Aussagen und Vermerke zu verlassen. Nach NDR Recherchen sollen Zeug*innen Aussagen, die die Polizei in den Ermittlungsakten vermerkt hatte, in der Hauptverhandlung entschieden bestritten haben. Polizeivermerke wurden demnach gar als „Quatsch“ bezeichnet; die Zeug*innen beteuerten, sie hätten solche Aussagen nie gemacht. Das bedeutet, dass der Prozess wesentlich länger dauern wird als anfangs angenommen. Bisher sind Verhandlungstermine bis Ende September angesetzt.
Richter zweifeln an Polizeiarbeit, NDR
Suggestiver Quatsch, jungle.world
Zwischenbericht zum Elbchaussee-Prozess // Die Anklage wackelt, Rote Hilfe ffm

Wer sich näher mit der Qualität der Bullenaussagen und dem Prozessverlauf generell beschäftigen möchte, kann dies mit den Prozessberichten von United we stand tun:
Prozessbericht 14. bis 22. April 2019
Prozessebricht 4. und 5. April 2019
Prozessbericht 26. April 2019
Prozessbericht 2. und 3. Mai 2019
Prozessbericht 19. und 20. Juni 2019
Prozessbericht 26. Juni 2019

Mitte Juni versuchte die Staatsanwaltschaft es dann mit einem erneuten Befangenheitsantrag gegen die zuständigen Richter*innen. Als Anlass dafür nahm sie Telefonate der Richterin mit Anwält*innen der Angeklagten, in denen es um Planungen der nächsten Verhandlungstermine ging. Die Richter*innenkammer passt der Staatsanwaltschaft in ihrem unbedingten Bestrafungswillen offensichtlich nicht. Allerdings ist auch dieser Versuch, sie loszuwerden, gescheitert. Wäre dem Antrag stattgegeben worden, hätte der Prozess mit anderen Richter*innen von vorne beginnen müssen.
Richterin doch unbefangen, taz
Staatsanwaltschaft wird umstrittene G20-Richterin nicht los, Spiegel online
Staatsanwaltschaft will G20-Prozess platzen lassen, Spiegel online
G20-Randale auf Elbchaussee: Prozess wird fortgesetzt, NDR

Liberté pour Loïc!
La neige sur hambourg

Kommt zum Solifoto für Loïc am Freitag (5.7.2019) um 20.45 Uhr!

 

Weitere Verfahren

Noch im Januar konnte das Berufungsverfahren gegen den Aktivisten Patrick für beendet erklärt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte Berufung eingelegt,  nachdem der Prozess in der ersten Instanz aufgrund von vielen Widersprüchen zugunsten des Angeklagten mit einem Freispruch endete. Und: mensch mag es nicht glauben, auch in zweiter Instanz ließ sich nichts daran ändern!

Peikes Berufungsverfahren dauerte etwa ein Jahr an und wurde ebenfalls im Januar mit einem Jahr Haft und neun Monaten auf Bewährung für beendet erklärt. Details zum Verlauf gibt es hier. Peikes Verurteilung war unter dem Hardliner Richter Krieten nach nur einem Prozesstag ergangen. Der Verurteilungswille in zweiter Instanz war ähnlich stark, wie der Ausgang vermuten lässt.

Im Februar ist ein weiterer Aktivist freigesprochen worden, der bei der Welcome to hell Demo wegen eines vermeintlichen Dosenwurfs auf die Bullerei festgenommen wurde. Ein Videobeweis war hier ausschlaggebend für die Entscheidung der Richterin.

Ende Mai wurde ein Verfahren, in dem die Aussage eines Tatbeobachters für die Festnahme bzw. Anklage einer Person zentral war, mit einem Freispruch beendet. Innerhalb dieses Verfahrens zeigte sich einmal mehr, dass die Bemühungen der Verfolgungsbehörden, G20-Gegenproteste zu kriminalisieren, auf nichts als Falschaussagen und Willkür der Polizei beruhen.

Zum ersten eingestellten Gruppenprozess von Lucy, Lieke und Paul gibt es weiteren Lesestoff. Im Readerformat wird über die in der Öffentlichkeit als besonders brutal hervorgehobene Entführung der Aktivist*innen, die Soligruppenarbeit bis hin zum eingegangen Deal mit der Staatsanwaltschaft reflektiert.

Im Zuge einer solidarischen Videokundgebung zu Polizeigewalt während des G20 wurden drei Berliner Aktivist*innen von der Polizei herausgegriffen. Anfang Mai wurde das erste Verfahren eröffnet und endete unter enormen Druck am gleichen Tag. Berufung ist aktuell eingelegt. Infos zum genauen Ablauf und wichtige Themen rund um den Prozesswahnsinn gibt es hier.

Viele Verfahren sind noch offen und werden von uns weiterverfolgt. Eine recht kompakte Zusammenstellung zu den gesamten Tatvorwürfen bzw. eröffneten Verfahren gegen politisch Aktive während des G20 sowie deren Ausgang findet ihr in diesem Artikel.

 

Hausdurchsuchungen kennen wir schon! Öffentlichkeitsfahndungen und Überwachung auch …

In den letzten Monaten gab es erneut zahlreiche Razzien im Zusammenhang mit NoG20. Wir gehen davon aus, dass diese Auflistung nicht vollständig ist.
Im Februar gab es eine Razzia in Hannover sowie weitere in Hamburg, Schleswig-Holstein und NRW, von denen im einen Fall acht Menschen betroffen waren, im anderen fünf.
Dirigent mit Klobürste, taz
Im Mai waren vor allem Menschen aus Hamburg und Umgebung von weiteren Razzien betroffen.
Razzien am 7. Mai, EA Hamburg

Hier gibt’s übrigens Hinweise zum Umgang mit Razzien als Hörspiel!

Auch von außen werden linke Läden und Wohnprojekte überwacht. In Hamburg wurde erneut ein Fall öffentlich: Das Auge der Colaflasche, taz

Seit Dienstag, den 2.7.2019 läuft eine erneute Öffentlichkeitsfahnung, das ist dann die sechste. Es wurden 13 neue Bilder veröffentlicht. Im März hatte die „EG Schwarzer Block“ nochmal 66 Menschen an den öffentlichen Pranger gestellt. Insgesamt wurden damit bisher über 400 Fotos von Menschen veröffentlicht.
Nicht die Hinweise zum Umgang mit solchen Fahndungen vergessen, falls ihr euch die Bilder angucken wollt!

Und dabei nutzt die Hamburger Polizei die umstrittene Gesichtserkennungssoftware weiterhin, trotz anhängiger Klage des Datenschutzbeauftragten.
G20-Krawalle: Senat muss Rechtsgrundlage für Gesichtserkennung schaffen, heise online
Bundesdatenschutzbeauftragter mahnt Zurückhaltung bei Gesichtserkennung an
 

NoG20 in Japan

Leider fand auch in diesem Jahr das G20 Treffen statt, diesmal in Osaka. Mangels Sprachskills können wir letztlich nur einen kleinen Einblick in die Protestbewegung geben. Der Abschirmungsapparat aus militärischen und polizeilichen Kräften war ähnlich hoch angesetzt wie in den letzten Jahren. Deutschsprachige Medien berichten von einer wenig ausgeprägten Protestkultur in Japan, die Begründungen erscheinen teilweise sehr stereotyp. Macht euch also lieber selbst ein Bild und achtet in den kommenden Wochen auf weitere Artikel zu den Protesten.

 

Wir sehen uns am Freitag am JuZI!

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